Zurückgeschaut: Abschlussarbeit ohne WWW und PC

Wie leicht das Schreiben heute ohne Schreibmaschine und TippEx-Streifen ist

Seitdem ich mich mit meiner Magisterarbeit auseinandersetze, ist mir mein Internetzugang noch viel stärker ans Herz gewachsen. Für viele von uns ist das Netz ein virtuelles Tor zur Welt, eine Art Reiseersatz, ein gigantisches Informationsportal und so manchmal auch ein Helfer in der Not. Wie es wohl früher war – d.h. vor mehr als 30 Jahren, als das Internet noch lange nicht im Gespräch war und Rechner eigentlich nur für Mathematiker als mindestens schrankgroße Exemplare ihren gleichnamigen Zweck erfüllten? Eigentlich eine seltsame Vorstellung, dass wir uns so schnell an PCs und die ständig verfügbare Flut an Nachrichten, Informationen und Bilder aus dem Netz gewöhnt haben.

 Magisterarbeit schreiben ganz ohne WWW? Auch wenn es natürlich keinen Sinn macht, im Internet die zentrale Informationsquelle für seine Arbeit zu sehen, hilft es oft beim Brainstorming auf die Sprünge und verschafft einem einen schnellen Überblick über ein Thema – ganz abgesehen von der Recherche in Bibliothekskatalogen. Noch befremdlicher erscheint mir mittlerweile die Vorstellung, ca. hundert Seiten auf der Schreibmaschine abzutippen – mit TippEx (für Nichtwisser: eine nicht gerade benutzerfreundliche Korrekturfarbe, wahlweise als Stift, Farbband oder Zettel) als ständigem Begleiter.

Schreiben und Informationsrecherche scheinen damals auf alle Fälle wesentlich mühsamer gewesen zu sein, was mir „Zeitzeugen“ bestätigt haben. Die einzelnen Schritte einer Abschlussarbeit sahen wohl ungefähr so aus: Zunächst einen realistischen Zeitplan anlegen, rechtzeitig über Bibliothekssysteme und Unternehmen, Verbände usw. Informationen recherchieren bzw. Infomaterial per Post anfordern. Außerdem eigene Notizsammlungen anlegen. Nachdem alles Material vorhanden ist, Texte formulieren und immer wieder überarbeiten. Die fertige Arbeit am Ende per Hand in Reinschrift abschreiben und einige Male Korrektur lesen, um sie dann noch einmal mit der Maschine abzutippen. Nach weiteren Korrekturrunden schließlich alles mehrmals fotokopieren. Wenn dem Autor in dieser letzten Phase noch ein Fehler auffiel, dann hatte er tatsächlich ein Problem.

Da müssten wir heute ja eigentlich froh sein, dass alles so einfach funktioniert und wir uns entspannt mit unserem Thema beschäftigen können. Doch so problemlos wie es scheint, ist es leider nicht. Immer wieder gibt es Klagen über zusammengebaute Diplomarbeiten, wahllos eingefügte Zitate und unlogisch gegliederte Argumentationen. Bei mehr Information fällt es wohl nicht unbedingt leichter, das Richtige zu wählen. Und vorgefertigte Antworten regen nicht unbedingt zum Nachdenken an. Außerdem steigen wohl auch die Ansprüche an die Rechercheergebnisse, wenn allen ein wesentlich größeres Angebot zur Verfügung steht.

Manch einer trauert der computerlosen Zeit nicht zuletzt deshalb nach, weil die Schreibmaschine auch ihren ganz eigenen Charme hatte, z.B. die charakteristische Form, das unverwechselbare Geklicke und die übersichtlichen Funktionen. Mit diesem Gerät konnte man eben vor allem eines – Schreiben. Mit dieser einfachen, klaren Botschaft kann ein heutiges, fast lautloses Notebook mit 150 Gigabyte Festplattenspeicher nicht mithalten.

Trotzdem – ich werde mich freuen, wenn ich das nächste Mal meinen Rechner hochfahre, der mir den Zugang zu unendlichen Datenbanken des WWW eröffnet, angezeigt durch ein unauffälliges, kleines Icon auf der Taskleiste.

Infokasten:

Die Entwicklung der digitalen Welt – einige Eckdaten

1975: Altair 8800 von MITS als erster PC (mit 256 Bytes Speicherplatz)

1976: Entwicklung des Apple-Computers

1978: erster Apple-Computer mit Diskettenlaufwerk

ab den 1980ern: starke Expansion des PC-Marktes

1984: Apple Macintosh, erster Computer mit grafischer Oberfläche

1985: Entwicklung von Windows 1.0

1990: Schweizer Projekt „World Wide Web“ als Computernetzwerk für wissenschaftliche Arbeit

ab 1995: explosionsartige Ausbreitung des WWW und wachsende Kommerzialisierung

1995/96: Entwicklung des Microsoft Internet Explorer

2002: ca. 300 Millionen Internetanschlüsse weltweit

2007: Anstieg der Anschlüsse weltweit auf ca. 1,2 Milliarden

Julia Emmel