Zu schöngeistig?

Richard David Precht zu Gast an der Leuphana Universität Lüneburg. Mit „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ brachte Richard David Precht ein Buch über die Philosophie auf die Bestseller-Listen – weitere folgten. Mit Univativ sprach er über seine Studienzeit, warum die Bertelsmann Stiftung ihn nicht einstellen wollte und über ein Leben nach dem Hype.

Univativ: Herr Precht, in den Medien werden sie als Schriftsteller, Philosoph, Populärwissenschaftler bezeichnet. Wie würden Sie sich selbst vorstellen?
Precht: Ich mag die Definition von Philosophie aus der Aufklärung und den ganzheitliche Ansatz, sich für Naturwissenschaften zu interessieren, für Literatur, Politik und Gesellschaft. Deswegen ist der Begriff Philosoph als Sammelbegriff nicht verkehrt.

Univativ: Und wie stehen Sie zu dem Begriff Populärwissenschaftler?
Precht: In Deutschland hat das Wort Populärwissenschaften immer etwas Negatives. Dabei ist es doch schön, wenn sich viele Menschen für Philosophie interessieren. Das können sie aber nur, wenn es populär, also allgemeinverständlich vermittelt wird.

Univativ: Wie ist Ihr Verhältnis zu Wissenschaftskollegen, die im universitären Kontext eingebunden sind?
Precht: Ich habe sehr viel und guten Kontakt zu Wissenschaftlern und Philosophen. Es sind ja zwei verschiedene Dinge, ob man mit ihnen komplizierter spricht, sich mehr mit Detailfragen beschäftigt, oder ob man versucht, die Dinge so aufzubereiten, dass ein möglichst großes Publikum sie versteht. Die Tätigkeiten schließen sich nicht aus.

Univativ: Zieht es Sie manchmal zurück an die Uni?
Precht: Prinzipiell kann ich mir das vorstellen, weil die Arbeit mit Studierenden etwas ist, was ich auch gerne machen würde.

Univativ: Wie haben Sie selbst ihre Studienzeit erlebt?
Precht: Ich habe wahnsinnig gerne studiert und sehr schnell. Wir hatten einen Kreis von leidenschaftlich interessierten Literaturwissenschaftlern und Philosophen. Wir haben uns fast jeden Abend gesehen, Nudeln gekocht, Wein getrunken und noch in der Nacht über erkenntnistheoretische Probleme gesprochen. Ich war sehr ehrgeizig und konnte mir zum damaligen Zeitpunkt überhaupt keinen anderen Beruf vorstellen, als an der Uni zu bleiben.

Univativ: Waren Sie auch manchmal verunsichert?
Precht: Es gab einige Philosophen, die habe ich überhaupt nicht verstanden. Und ich habe mich ja nicht für doof gehalten. Wir hatten einen Professor, bei dem war das so. Da bin ich dann auch nie wieder hingegangen. Nach meiner Dissertation war ich da und habe wieder nichts verstanden. Da dachte ich, das muss ich nicht verstehen.

Univativ: Während Ihres Studiums konnten Sie sich nichts anderes vorstellen, als an der Universität zu bleiben. Wie war Ihr Übergang ins Berufsleben?
Precht: Ich habe den Fehler gemacht, mich für nichts anderes zu interessieren als für meine Studienfächer. Kurz nach meiner Promotion lief meine Assistentenstelle aus und ich war arbeitslos. Ich habe mich an anderen Universitäten beworben, bei der Bertelsmann Stiftung, bei der Weiterbildungsabteilung der Post. Ich habe mit 1,1 Magister gemacht und mit summa cum laude promoviert nach acht Semestern Studium, aber ich wurde nicht ein einziges Mal irgendwo eingeladen. Die Bertelsmann-Stiftung hatte damals eine Riesenannonce in der ZEIT. Da stand drin „Wenn Sie ein Mensch sind, mit dem man sich über Platon, über die Tiger-Staaten und über Inflationsraten unterhalten kann, dann sind Sie unser Mann.“ Ich dachte: „Super, das bin ich!“. Dann kam eine formale Absage. Aber bei meinen Unterlagen hatte sich das Gutachten auf eine Klarsichtfolie durchgedrückt. Da stand in Großbuchstaben „Zu Schöngeistig!“, dreimal unterstrichen. Es heißt immer, die Wirtschaft bräuchte Geisteswissenschaftler. Aber wenn es hart auf hart kommt, sieht es immer noch schwierig aus.

Univativ: Wie haben Sie sich da heraus manövriert?
Precht: Ich habe es dann irgendwann geschafft, Kontakte aufzubauen. Ich habe mich auf Buchmessen herumgetrieben, zu einem Zeitpunkt, als ich noch schlecht verkäufliche Bücher geschrieben habe, und habe Leute kennengelernt. Es liegt an einem selbst, Kontakte aufzubauen. In dieser Gesellschaft ist es sehr schwer, irgendetwas zu werden, wenn man keine Kontakte hat. Es ist keine Frage des Schicksals, ob man die hat, sondern man kann selbst etwas tun.

Univativ: Was würden Sie rückblickend anders machen?
Precht: Ich würde eine Kombination aus Naturwissenschaften oder Jura und Philosophie studieren. Ein sicheres Standbein sollte man haben. Und es wäre schlauer gewesen, Praktika zu machen und Kontakte aufzubauen. Wenn man sich so sehr auf Geisteswissenschaften konzentriert, dann ist es hochgradig fahrlässig, sich nicht umzuschauen.

Univativ: In welcher Rolle sehen Sie die Geisteswissenschaften in der Gesellschaft?
Precht: Die Bedeutung von Geisteswissenschaften in der Gesellschaft halte ich für sehr hoch. Wir sind umzingelt von einem unglaublichen Maß an Spezialwissen. Wir haben relativ wenige Menschen, die darin ausgebildet sind, das Wissen der verschiedenen Disziplinen zu verstehen und zusammenzuführen. Dafür braucht man Generalisten, die über gewisse Techniken verfügen. Sie müssen ein großes Orientierungswissen haben, schnell sein und Denkwelten verstehen. Wie denken Naturwissenschaftler, wie Philosophen? Und sie müssen Brücken schlagen können. Wichtig ist zum Beispiel auch, frei sprechen zu können. Auf das hat während meiner Ausbildung niemand Wert gelegt.

Univativ: Das heißt, wenn Sie Bildungsminister wären, würden Sie das System gerne ein wenig umkrempeln?
Precht: Ein wenig ist gelinde gesagt untertrieben.

Univativ: Bei Ihrer Recherche haben Sie viele Freiheiten. Wie gehen Sie da vor, wie kommen Sie auf die Themen, über die Sie schreiben?
Precht: Das hat viel mit persönlichen Interessen zu tun, aber häufig hängen diese mit aktuellen Themen zusammen. Ich denke, dass die Finanzkrise und auch einige moralische Verunsicherungen in der Gesellschaft für mich ein starkes Motiv waren, über Moral zu schreiben. Bei der Recherche ist es natürlich ein Privileg, wenn man die Freiheit hat, über seinen Zeitplan halbwegs frei zu verfügen. Da ich sehr viele Veranstaltungen mache, relativiert sich das auch wieder.

Univativ: Wie sehen Sie sich in einigen Jahren, wenn der Hype Richard David Precht nachgelassen hat und Sie weniger unterwegs sind?
Precht: Der Hype wird nicht ewig anhalten können. Zum einen ist es normal in einer Marktgesellschaft, dass irgendwas nur begrenzte Zeit in Mode ist. Darauf muss man sich einstellen. Zum anderen ist mein Leben so obertourig, mit ungefähr hundert Vorträgen im Jahr und vielem anderen mehr, dass ich das vermutlich schon aus gesundheitlichen Gründen gar nicht über viele Jahre machen könnte. Insofern würde ich mir schon überlegen, die eine oder andere Tätigkeit zu machen, die neu schwerpunktartig dazukommt. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Das Interview führte Michelle Mallwitz