Zerbricht die Uni Lüneburg?

Winke, Winke, Suderburg! Nun ist es also amtlich: Auf Entscheidung von Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU) wird der Campus Suderburg baldmöglichst von der Uni Lüneburg an die Fachhochschule Wolfenbüttel (bald „Ostfalia“) abgegeben. Dabei geht es nicht nur um das Grundstück, sondern auch um Ausrüstung, Studiengänge, Personal und Studierende. Für die bisherigen Studierenden soll es Regelungen geben, damit sie, falls gewünscht, ihren bisherigen Abschluss (FHDiplom, Alt-Bachelor oder Leuphana-Major/Minor) an der Uni Lüneburg in den bisherigen Prüfungsordnungen machen können. Als kleines Sahnehäubchen soll in Suderburg ein neuer Studiengang eingerichtet werden, und zwar soziale Arbeit/Sozialpädagogik.
Dieser doch recht grundlegende Einschnitt in die Leuphana lässt Schlimmes ahnen für die Zukunft der Universität(en). Dieser Vorgang hat eine Vorgeschichte und für andere Studiengänge und sogar Hochschulen Signalwirkung.

Erst das Kettensägenmassaker …

Die politische Bedeutung dieser Entscheidung wird mit einem Blick auf die Vergangenheit deutlicher: Bis 2003 gab es in Lüneburg eine kleine Universität, die arm, aber engagiert war und eine gut ausgestattete Fachhochschule. Unter Wissenschaftsminister Oppermann (SPD) hatte sich die Universität gerade in die Rechtsform einer Stiftung geflüchtet, um so angebliche Sicherheit vor weiteren Kürzungen oder Schließungsdrohungen des Landes zu haben. Dann kam die Landtagswahl und eine CDU/FDP-Regierung an die Macht. Deren erster Akt, eine massive Einsparrunde im ganzen Landeshaushalt, wurde im Hochschulbereich „Hochschuloptimierungskonzept“ genannt. Das HOK sah für alle Hochschulen (natürlich inkl. Stiftungen) Kürzungen der festen Mittelzuweisungen von 50 Mio. vor, die den sofortigen Abbau von 1130 Stellen erforderten, mit weiteren 498 Stellen in einer zweiten Welle. Umgerechnet hat das Land damals eine komplette Hochschule eingespart!
… dann die Notoperation.

Dieses HOK wurde von Minister Lutz Stratmann (CDU) übrigens nicht in Hannover, sondern auf einer Pressekonferenz in Lüneburg verkündet. Warum wurde schnell klar: Die Universität Lüneburg und die FH Nordostniedersachsen sollten zusammengelegt werden und bekamen das Label „Modell-Hochschule für den Bologna-Prozess“ verpasst. Innerhalb eines Jahres sollten sämtliche bisherigen Studiengänge auf Bachelor/Master umgestellt werden. Die ca. 20 anderen Maßnahmen, die den Bologna-Prozess ausmachen, wurden gepflegt ignoriert, was aber weder in Hochschule, Politik oder Medien Interesse fand.

Moderiert wurde die Zusammenführung vom neoliberalen „Centrum für Hochschulentwicklung“, einem Think Tank von Bertelsmannstiftung und Hochschulrektorenkonferenz. Der Leiter des CHE, Prof. Dr. Detlef Müller-Böling, Vordenker der aktuellen Reformen im Wissenschaftsbereich, erkor in einem Artikel in der SZ diese Fusion zum Vorbild für das gesamtdeutsche Hochschulsystem, da nun endlich die überholte Trennung zwischen anwendungsorientierten FHs mit ihrer praxisnahen Ausbildung einerseits und den forschungsstarken Universitäten mit ihrem verstaubten Bildungsideal aufgehoben werde.
Die am 1.1.2005 als Ergebnis dieser Fusion entstandene „Neue Universität Lüneburg“ war, wie wir nun wissen, nur ein instabiles Zwischenprodukt. So sind die damals entwickelten Studiengänge, die damals von Politik und Presse als vorbildhaft bejubelt wurden, nach 2 Jahrgängen bereits Auslaufmodelle und damit „Alt-Bachelor“. Die Schließung des Major Soziale Arbeit/Sozialpädagogik wickelte einen etablierten und wertvollen Studiengang ab, eines der zwei Fächern mit Wurzeln in Altuni und FH gleichermaßen. Suderburg ist nun der nächste und bestimmt nicht der letzte Abgang …

Alles neu macht der Mai Spoun!

Solche Dinge ahnte aber niemand, als „der jüngste Hochschulpräsident Deutschlands“, Dr. Sascha Spoun, zum Sommersemester 2006 sein Amt antrat.
Das von ihm kurz darauf vorgelegte Konzept der Neuausrichtung brach radikal mit dem gerade erst neu erfundenem Selbstverständnis der Uni. Die Uni Lüneburg, so die Analyse des Präsidenten, habe keinerlei Ruf, sei provinziell, unmodern, unattraktiv, von Kürzungen und gar Schließung bedroht, der Bachelor würde an den üblichen Fehlern wie Verschulung leiden. Interessanterweise fand sich eine Mehrheit, die das gerade erst mit erarbeitetee „vorbildhafte Modell“ nun ebenfalls für misslungen hielt. Zwar kam es schon damals zu erbitterten Debatten darüber, ob das neue Studienmodell den spezifischen Anforderungen der Ingenieursausbildung gerecht wird, aber dieser Bruch mit der gerade abgeschlossenen „vorbildhaften Reform“ wurde, außer durch Studierende, nicht groß thematisiert.

Wer weint um Suderburg?

Aber was ist denn nun so schlimm daran, dass Suderburg geht?
Aus Sicht der Betroffenen sicherlich nichts… denn vor Ort waren schon lange (leise) Klagen zu hören, das das neue Leuphana-Profil Suderburg ausblende. Sei es die Konzentration auf den Campus Scharnhorststrasse, die inhaltliche Schwerpunktsetzung oder auch das neue Studienmodell, man fühlt(e) sich nicht integriert. Gerade bei Ingenieuren wird in der Arbeitswelt mehr Fachwissen erwartet, als im Leuphana-Bachelor vermittelt werde, und damit steht die Anerkennung durch die Berufsverbände auf dem Spiel. Das Problem haben „reguläre“ Bachelormodelle auch, wobei bei Ingenieurstudiengängen der Trend zum 7-semestrigen Bachelor geht, während das interdisziplinäre Leuphana- Semester 30 Credit Points an Fachmodulen kostet. Damit fehlt dem Leuphana-Ingenieur-BA ein ganzes Jahr Fachausbildung! Die Lage der ProfessorInnen scheint auch klar. Blieben sie an der Uni, könnten sie zwar beispielsweise die Überleitung in den Stand eines Uniprofs beantragen, was u.a. mehr Geld bei weniger Lehrtätigkeit hieße. Allerdings wären ihre Fachgebiete recht nutzlos, da ja die Studiengänge und Forschungsbereiche zur FH gehen.

Wer den Schaden hat …

Verlierer dieses Abgangs ist klar die Universität. Mit Suderburg geht der Standort, der u.a. durch das Fach „Tropenwasserwirtschaft“ ein dichtes internationales Netzwerk zu bieten hat, den uniweit höchsten Anteil an ausländischen Studierenden und (inter)national in der Fachwelt einen guten Ruf besitzt. Auch Synergieeffekte mit den Umweltwissenschaften bleiben auf der Strecke.
Nicht zuletzt gehen mit Suderburg auch Mittelzuweisungen des Landes, Studierende und Lehrende und erhebliche Vermögenswerte, denn in Suderburg wurde in den 90er Jahren viel investiert.
Der Ausstieg aus dem Leuphana-Modell bedeutet des weiteren, dass sich Suderburger Studierende nicht mehr mit den progressiven Aspekten des Leuphana-Semester beschäftigen.
Die Kernidee, im Bachelor-Studium nicht nur Fachwissen zu vermitteln, sondern die Studierenden mit der Entwicklung von Wissenschaften an sich, ihrer späteren Verantwortung und dem Thema Nachhaltigkeit zu konfrontieren, ist ja durchaus progressiv. Nun wird es also wohl deutlich weniger Ingenieure geben, die von Anfang an Nachhaltigkeit als wichtigen Teil ihres Berufes sehen und sich mit den Folgen ihres Handelns beschäftigen, auch in Angesichts des Klimawandels ein trauriges Signal.

Volgershall oder Rotes Feld – Wer ist das nächste Opfer ?
Nun sind die Argumente, die Suderburg zum Gehen bewegten, auch in Volgershall anwendbar. Dort finden sich ebenfalls Ingenieursstudiengänge, für die effektive 6 statt 4 Semestern Fachwissen als Standard gelten. Der Verkauf des Grundstückes ist eigentlich beschlossene Sache, da sind sich Hochschulleitung und Fakultätsrat III mehr oder weniger einig, auch wenn der Zeitpunkt noch nicht fest steht. Bis vor kurzem stand im Raum mit den Verkaufserlösen das neue Audimax zu finanzieren. Was aber würde mit Maschinenhalle und Laboren passieren, wenn es doch zu einer Aufgabe des Campus Volgershall kommt? Wer einmal die Maschinenhalle in Volgershall gesehen hat, wird das Gerücht, sie fänden einen Platz im Keller des Audimax, wohl eher für einen Scherz halten, aber andererseits…
Und auch über das Rote Feld gibt es viele Gerüchte, die durch die Planung und Durchführung der Campusentwicklung viel Nahrung finden. Aber die Gebäudefrage sei einmal ausgeklammert, denn Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspsychologie benötigen ja keine Maschinen, sondern Seminarräume. Allerdings sind auch dies Studiengänge, die mit dem Leuphana-Semester so ihre Probleme haben. Denn für die Anerkennung in der Fachwelt, bei Arbeitgebern oder auch zum Master an anderen Hochschulen werden häufig 150 Credit Points oder 5 reine Fachsemester als Standard genannt. Wenn nun Vizepräsident Holm Keller in der offiziellen Verlautbarung des Ministeriums zum Wechsel Suderburgs mit den Worten: „Die Lösung bietet für alle Beteiligten nur Vorteile.“ zitiert wird, bleibt die Frage, was die Unileitung als Vorteil betrachtet…

Wen kümmern Gesetze – Wir haben die Macht.

Ein brisantes Zitat findet sich in den Lokalnachrichten bei Radio Zusa: „Um die Trennung von der Leuphana-Universität rechtlich zu ermöglichen, muss nun das Hochschulgesetz geändert werden, erläuterte gestern der zuständige Staatssekretär Josef Lange. Er versicherte, dass der Starttermin zum nächsten Wintersemester auch dann eingehalten werde, wenn die gesetzlichen Rahmenrichtlinien noch nicht endgültig verabschiedet seien.“
Im Klartext: Macht mal, wir biegen das Gesetz schon zurecht. Vielleicht gibt es aber auch bald ein Ent-Fusions-Gesetz, dann schlägt die Landesregierung zwei Fliegen mit einer Klappe: Auch die Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/ Wilhelmshaven, kurz FH OOW, wird defusioniert, auch dort hat es letztendlich nicht geklappt mit der 2000 erfolgten Fusion.

Und überhaupt: Warum entscheidet eigentlich die Landesregierung, welcher Hochschulstandort wohin geht? Angeblich haben wir doch nun einen Wettbewerb der Hochschulen, die autonom ihre Profile schärfen, frei von staatlichen Eingriffen. Und wenn das Land dann doch eingreift, indem es z.B. den neuen SozPäd-Standort in Suderburg finanziert: warum nicht gleich in Lüneburg erhalten? Ist es Stümperei, oder gibt es eine geheime Landeshochschulplanung? Und was sagt der Stiftungsrat der „Stiftung Universität Lüneburg“ zum Abgang Suderburgs, der einen solchen Eingriff in den Stiftungsbesitz entscheiden muss? Fragen über Fragen.

Caspar Heybl