Unterwegs von Genua nach Pisa

Wandern an der ligurischen Riviera. Viele reisen nach Italien wegen Sonne, Strand und dem „Dolce“ Lebensgefühl der Menschen. Andere lieben das Land vor allem für die Weichheit apenninischer Hügel oder für Ausgrabungsstätten, hinter deren Säulen man meint, gerade noch den letzten Fitzel einer Toga verschwinden zu sehen.Auf einer neuntägigen Wandertour an der Mittelmeerküste zwischen Genua und Pisa zu zweit lassen sich Landschaft und Kultur Italiens optimal genießen.

Folgende Dinge sind für eine solche Strecke besonders zu empfehlen: Zwei möglichst bequeme Trekkingrucksäcke, wenig, aber dafür atmungsaktive Kleidung im Gepäck, viel Platz für Wasserflaschen und nicht zuletzt ein guter, verlässlicher Wanderführer.

Bei unserer Ankunft in Genua erwarten uns strahlendes Sonnenwetter und mindestens 25 Grad, was sich für die Länge unserer Tour nicht ändern soll. Den ersten Tag nutzen wir zur Stadterkundung. Im Hafen liegen lauter bunte, urige Fischerboote – ein Bild, wie man es aus kitschigen Italienfilmen kennt. Von dort aus machen wir uns auf den Weg ins Zentrum und schlendern in den dunklen, etwas zwielichtig wirkenden Gassen der Altstadt umher. Sie sind vollgestopft mit Bars, Modeboutiquen und Läden mit Sachen, die man absolut nicht braucht aber dafür sehr schön sind. Wie die Wäsche, die hie und da auf Leinen zwischen den Häusern trocknet.
Mit dem Zug geht es zum Küstenort Rapallo. Irgendwie schaffen wir es, beim zweitenAnlauf, mit einer Mischung aus Spanisch, Englisch, Italienisch und „Hand-&-Füßisch“, ein nettes Zimmer im Zentrum zu bekommen.

Am nächsten Tag machen wir uns schon vor dem Aufwachen auf den Weg. Hart, aber eine wichtige Taktik, um der stärksten Hitze zu entgehen. Unser Startpunkt liegt in einem Tal, deshalb führt der Weg zunächst einige Höhenmeter hinauf ins Binnenland. Für Augen, die es nicht gewohnt sind, über eine mediterrane Landschaft zu schweifen, sind Olivenbäume, Feigen und Kakteen so unwiderstehlich, dass sie nur ungern Kapazitäten auf den extrem schmalen Wanderpfad umverteilen. Schließlich kommen wir am frühen Nachmittag an unserem Etappenziel Chiavari an. Die Nachmittagsglut ist im gemütlichen Strandcafé gleich viel erträglicher – nach einer ausgiebigen Dusche und mindestens einer Stunde Siesta.

Unsere nächsten Wanderstrecken führen uns in eine immer reizvoller werdende Küstenlandschaft, die wir uns wortwörtlich Schritt für Schritt erschließen. Die Vegetation wird lieblicher, die Klippen steiler. Auch die italienische Sprache lernen wir aus der Wandererperspektive kennen. Bald kennen wir die Namen verschiedener Brot- und Gebäckspezialitäten und erweitern unsere Kenntnisse in puncto Cafè. Überall gibt es kleine Croissants mit Schokoladen-, Marmeladen- und Puddingfüllung zu kaufen. Italiener nennen sie ‚Brioche,’ was auf französisch wiederum soviel heißt wie „Milchbrötchen.“
Auf jeder Etappe erwartet uns ein neues Landschaftsbild: Olivenhaine wechseln sich ab mit der „Macchia,“ einem für die Mittelmeerregion typischen Buschwald, der aus Pflanzen wie Oleander, Steineichen und Erdbeerbäumen besteht. Teilweise befinden wir uns in dichtem Wald mit Farn und Dornenranken, auf Hügelkämmen haben wir dann wieder weite Ausblicke auf das Mittelmeer oder ins Binnenland auf die Küstenlandschaft. Eine Etappe führt uns auch durch die Reste eines abgebrannten Waldstücks.
Da die meisten Wanderer auf die Frühjahrs- oder Herbstmonate ausweichen, sind wir den Großteil der Strecke fast allein in der Natur unterwegs und entsprechend in den Dörfern eine Kuriosität.
Nachmittags entdecken wir das italienische Strandleben, in jedem größeren Ort ist etwas los. In Bars und Cafés an der Strandpromenade und am Wasser treffen sich sowohl junge Leute als auch viele Familien. Interessant ist, dass wir die ersten Tage in einer Gegend unterwegs sind, die hauptsächlich von italienischen Urlaubsgästen besucht wird. Dies ermöglicht nicht nur spannende Eindrücke von Land und Leuten sondern auch die Festigung der frisch gelernten Italienischvokabeln. Erstaunlicherweise gibt es zwar kaum Probleme, eine Unterkunft zu finden, aber in der gleichen Preisklasse finden wir, je nach Ort, sehr unterschiedliche Angebote – von familiär geführten Herbergen bis hin zu modernen Hotelketten. Die Freude über Dusche und Bett, egal, inwelcher Form, ist nach einem Wandertag allerdings immer gleich groß.

Der Höhepunkt unserer Reise ist die Bewanderung der Dörfer ‚Cinque Terre’. Charakteristisch für diese Orte ist ihre Bauweise. Die bunt gestrichenen Häuser kleben gewissermaßen ineinander verschachtelt an den Steilklippen. Dazu haben die Menschen um die Dörfer herum an den Berghängen terrassenartige Felder angelegt. Diese gewachsene Häuser- und Landschaftsarchitektur ist so einzigartig, dass das Gebiet als Ganzes zu einem Nationalpark erklärt wurde. Unter Wasser setzt sich die beeindruckende Landschaft fort. Man findet eine reiche und bunte Tier- und Pflanzenwelt, z.B. seltene Korallen. Die malerischen Orte sind tatsächlich reine Touristenparadiese. Allerdings erfahren wir, dass erst die Urlauber Wohlstand in diese Region gebracht brachten. Bis dahin war die Region durch eher harte Lebensbedingungen gekennzeichnet, zumal sie lagebedingt von der Außenwelt praktisch abgeschnitten war. Auch heute noch sind die Dörfer nur sehr schlecht mit dem Auto zu erreichen, es gibt aber eine eigene Eisenbahnlinie, welche die fünf Küstenorte mit einander verbindet. Wir entscheiden uns allerdings für das ausgedehnte Netz gefestigter Wege, das den Natururlauber hier erwartet und zum ersten Mal herrscht mehr Andrang auf unserer Strecke. Wir staunen über Geländer und Notrufsäulen, die es plötzlich in regelmäßigen Abständen gibt und fühlen uns ein bisschen wie Abenteurer, die gerade in die Zivilisation zurückgekehrt sind.
Nach einer Übernachtung in einem der Cinque Terre-Dörfer verlassen wir den Park und machen uns auf zu unserer letzten Etappe nach Portovenere an der Bucht von La Spezia.
Die Klippen werden, als passender Abschluss unseres Wanderurlaubs, immer beeindruckender, fallen mehrere hundert Meter zum Meer hin ab. Schließlich taucht unser Zielort vor uns auf. Noch ein letztes Mal genießen wir den Ausblick und wandern ins Tal hinab.

Der Alltag holt uns am letzten Tag auf unserer Rückreise ein, als wir aus dieser märchenhaften Landschaft in die Hafen- und Industriestadt La Spezia fahren. Weiter geht es mit dem Zug nach Pisa, unserem Abflugsort, wo natürlich auch wir das  bekannte Wahrzeichen der Stadt ansteuern. Die in Richtung Turm strömenden Menschenmassen und die angrenzenden Andenkenmeilen machen uns bewusst, dass es sich bei dem schiefen Bauwerk eindeutig um eine weltweite Attraktion handelt.
Mit einem letzten Cappuccino verabschieden wir uns am Ende von Italien – glücklich über die vielen Eindrücke und Erfahrungen, die wir auf dieser Reise sammeln durften.

Julia Strube