Univativ Filmkritik: Der Himmel wird warten

Der Himmel wird warten erzählt die berührenden Geschichten von zwei französischen Teenager-Mädchen, die zu Islamistinnen wurden.

Viele europäische Jugendliche radikalisieren sich / ©Bild: Youtube

Teenagerin Mélanie (Naomi Amarger) lebt in einem stabilen Umfeld und hat ein enges Verhältnis zu ihrer alleinerziehenden Mutter. Als ihre Oma stirbt, trauert sie. Trost spendet ein Unbekannter, mit dem sie über Facebook regelmäßig Kontakt hat. Er erzählt ihr, dass ihm ein Youtube-Video geholfen hätte, als sein Bruder gestorben sei. Auch Mélanie ist von dem Video ergriffen. Nach und nach schickt er ihr mehr Videos, schreibt ihr SMS, schmeichelt ihr – und überzeugt sie vom Islam. Mélanie stellt ihr Weltbild in Frage und beginnt sich in ihren Facebook-Kontakt zu verlieben, zu Allah zu beten und sich mit ihrer Mutter zu streiten. Bis sie schließlich davon überzeugt ist in den Dschihad, den heiligen Krieg, ziehen zu müssen.

Zur gleichen Zeit wird Sonia (Noémie Merlant) verhaftet, bevor sie einen Anschlag verüben kann. Auch sie lebt in einer geordneten Mittelstandsfamilie: Mutter, Vater, kleine Schwester. Und auch sie hat sich radikalisiert, will als Märtyrerin sterben, damit sie und 70 ihrer Liebsten ins Paradies kommen, bevor das Ende der Welt eintritt. Dass es kommen wird, davon ist sie überzeugt. Im Laufe des Films macht sie schließlich etwas durch, das einer Teufelsaustreibung nahe kommt.

Sehenswert macht die französische Produktion der Regisseurin Marie-Castille Mention Schaar unter anderem seine Form. Denn nicht nur das Format des Films erinnert an eine Reportage, auch Story und Protagonist*innen sind zwar fiktiv, könnten aber ebenso gut Teil einer Dokumentation sein. Grund dafür ist das Thema: Europäische Teenager – in diesem Fall zwei Französinnen –  die sich dem IS anschließen. Denn: Bis Ende 2016 waren es rund 400 junge Menschen allein aus Deutschland, die als Kämpfer*innen nach Syrien oder den Irak gereist sind.

Dennoch ist dieses Thema nicht einfach zu bedienen. Zu Beginn kamen zunächst Zweifel auf, ob die Macher*innen den schwierigen Spagat zwischen der Vermittlung der Werte des Islam und islamistischen Terrorismus schaffen würden, im Verlauf des Films wurden die Unterschiede zwischen Religion und Fanatismus aber dann doch einigermaßen deutlich.

Nicht ganz wahrnehmbar blieb leider, was es mit den ominösen Youtube-Videos auf sich hat, die vor allem Mélanie so nachhaltig beeinflussten. Zuschauer*innen bekamen zwar bruchstückhaft Einsicht, konnten sich aber schwierig einfühlen.

Alles in Allem: Ein berührender, wichtiger und sehenswerter Film, der Einblick in eine unfassbare aber echte Welt gewährt.

Autorin: Kim Torster


Im Scala ist der Film zunächst bis zum 5. April 2017 zu sehen, die Originalfassung (mit deutschen Untertiteln) läuft am 26.3.2017. Hier geht’s zu den Spielzeiten.

Filmstart in Deutschland war am 23. März 2017.

 

Kim Torster

Kim hat Kuwi studiert und war Chefredakteurin bei Univativ. Heute arbeitet sie nicht als Taxifahrerin, sondern als Journalistin. Glück gehabt.

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