Reise in die Mensaküche

Ein Tag auf der anderen Seite der Essensausgabe

Aus: Univativ 70 | 3/2012

Friedrich packt mit an / (c) Foto: Hannes Harnack

Die Mensa. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2012. Dies sind die Abenteuer von Friedrich Laatz und Anna Baumann, die einen Tag lang unterwegs sind, um die andere Seite der Essensausgabe zu erforschen, unbekannte Räume und neue Rezepte. Viele Lichtjahre vom Studentenleben entfernt, dringen sie dabei in Küchen vor, die nie ein Studierender zuvor betreten hat.

Wir haben uns morgens um sechs aus den Betten gewunden und sind über den noch beinahe menschenleeren Campus zur Mensa des Studentenwerks geradelt, denn schon um 6.30 Uhr beginnt offiziell für die Mitarbeiter der Mensatag. Heute werden hier wieder rund 1500 Essen gekocht und serviert. Allein für die geplanten 300 Kartoffelgratins werden 60 kg Kartoffeln und 20 kg Sommergemüse verarbeitet.

Nicht nur sauber, sondern rein

Für uns beginnt der Tag mit Ausziehen. Verdutzt schaue ich Küchenhilfe Angelika Hamann an, aber die meint es ernst. Wir werden von Kopf bis Fuß ausgerüstet mit Arbeitskleidung. Ringe, Uhren und Armbänder müssen wir abnehmen, die Hygiene spielt hier eine außerordentlich wichtige Rolle; ich fühle mich ein bisschen wie im Krankenhaus. Entsprechend ist auch unsere erste Handlung in der Küche: Hände waschen und desinfizieren – wie noch viele weitere Male an diesem Tag. Überhaupt wird an allen Ecken und Enden auf Sauberkeit geachtet. Die Mensa kann sich rühmen, seit 1997 regelmäßig dem Blick eines peniblen Kontrolleurs standzuhalten. Hygienemanager Ronald Brunow rügt jede kleine Spinnwebe – sogar im Keller. Aber mit dem Boden wäre er an diesem Morgen sicher zufrieden, der ist mörderisch glatt vor lauter Reinlichkeit. Wir müssen echt aufpassen.

Ich arbeite heute mit Angelika, wir putzen und schneiden Erdbeeren. Angelika ist exakt doppelt so schnell wie ich, ein Profi eben. Nebenan schwingt ein Koch einen Löffel, groß wie ein Kescher. Überhaupt gibt es hier alles in XXL: Der Kühlschrank heißt „Kühlhaus“, die Speisekammer „Trockenlager“ und die Spülmaschine ist eine „Waschanlage“. Ab und an fliegen flotte Sprüche durch den Raum – die Stimmung im Team ist heiter. Insgesamt sieben Mitarbeiter sind gerade am Werk. Eine Küchenzeile weiter brät Friedrich unter der tatkräftigen Anleitung von Koch Detlef Breitenfeld Reisfrikadellen für die Ökomensa. Die gestern frisch zubereitete Masse wird heute von Friedrich geformt und in einer Pfanne gebraten. Sein Kopf ist schon ganz rot vor lauter Hitze. Seine Hände sind ständig klebrig vom Hantieren. Und wehe dem, der das Geschirrtuch zum Abtrocknen der Hände benutzt – dafür nimmt man hier nur Papiertücher! Vor mir rührt Koch Patrick Ries derweil die Zutaten für das Kartoffelgratin zusammen. So wie er in dem riesigen Trog mit einem überdimensionierten Löffel arbeitet, sieht das für mich eher nach Zement Anrühren mit einer Schippe aus. Dann füllen wir die Masse in Auflaufformen, beim Schaufeln bin ich etwas zu schwungvoll. So schwierig hatte ich mir das nicht vorgestellt, auch nicht so anstrengend. Um 9.00 Uhr ist der Auflauf fertig, einige Bleche gehen zur Mensa im Roten Feld. Auch der Kindergarten auf dem Campus wird beliefert.

Der Stoff aus dem das Essen ist

Zwischendurch dürfen wir beide in den Keller linsen und staunen über das riesige Warenlager. „Wenn wir hier eingeschlossen wären, könnte ich mit meinem Team sicher ein Jahr weiter essen“, scherzt Betriebsleiter Horst Röber. Die Paletten mit großen Säcken voller Nudeln, Reis und Getreide erinnern mich schon wieder mehr an Baustelle als an Mensa.

Wenn Herr Röber wissen möchte, wie viele Vorräte es aktuell gibt, kann er in sein digitales Warenwirtschaftssystem schauen – oder den Lagerverwalter Eberhard Schliemann fragen. Im Zweifel hat Herr Schliemann Recht, denn er ist der Herr über die sieben Kühlräume und die diversen sonstigen Lagerräume. Schließlich macht er die Warenannahme und Qualitätskontrolle. „Er hat absolutes Urlaubsverbot“, grinst Herr Röber.

Überall fallen uns die deutlich gekennzeichneten Öko-Ecken auf: Wirklich alles gibt es auch einmal als Öko-Variante, vom Salz bis zur Margarine. Wir fragen nach den Dosen und den Fertigwaren. Aber da müssen wir lange suchen. Schokopuddingpulver finden wir. Und Mais, Tomaten und Oliven in Dosen. Sonst wird alles frisch zubereitet, von der Gemüsefrikadelle bis zum Kartoffelbrei. Sogar die Soßen sind selbstgemacht, heute zum Beispiel eine helle Gemüsesoße aus einer Mehlschwitze, abgelöscht mit Milch, dazu Gewürze und Gemüsebrühe – auch diese ohne Geschmacksverstärker und Zusatzstoffe.

Die Kunst des Kochens

Riesenpfanne / (c) Foto: Hannes Harnack

Als wir zurückkehren, testet Angelika Hamann gerade die Temperatur der Geflügelbratwürste mit einer langen Nadel. Das Messgerät zeigt 70°C an, so soll es sein. Beim Braten muss diese Temperatur mindestens erreicht werden, damit es steril zugeht. Friedrich kehrt wieder an seine Pfanne zurück, wobei Pfanne irgendwie untertrieben klingt: Dieses Rechteck voll von heißem Fett ist mindestens 70 cm mal 100 cm groß. Nebenher plauscht er mit Detlef Breitenfeld. Der offenbart, dass die Zutaten zwar jeden Tag präzise durchgerechnet sind. „Aber trotzdem zählt am Ende vor allem die Erfahrung. Mal ist der Salatkopf größer, mal kleiner. Das lässt sich ja nie hundertprozentig vorhersagen.“ Und dann muss er mit seiner Improvisationskunst ran. Aber das ist kein Problem, schließlich arbeitet Herr Breitenfeld schon länger in diesen Küchen, als Friedrich auf der Welt ist. Geschafft! Es geht schon auf 10.00 Uhr zu, als die knapp 400 Reisfrikadellen fertig gebraten sind – nach zweieinhalb Stunden akkurater Arbeit.

Solche veganen Gerichte (wie die Reisfrikadelle mit Nudeln und Ingwersoße) gehören seit einiger Zeit in das Rezeptrepertoire. Und die nächste Neuerung hat Herr Röber auch schon umgesetzt: Die renommierte Rezeptreihe „mensaVital“ startete im Juli mit besonders gesunden und ausgewogenen Speisen, mit viel frischem Gemüse. Sie hat sich bereits an anderen Unis gut bewährt. Gebratene Auberginen haben wir probiert, sie waren super!

Austeilen will gelernt sein

Um 10.30 Uhr gibt es Mittagessen für einen Teil der Mitarbeiter und wir haben auch schon mächtig Kohldampf. So sind wir pünktlich zur Essensausgabe um 11.15 Uhr fertig.

„Eine Kelle Soße reicht aus!“ Das wird Friedrich nahe gebracht. Sonst reicht es am Ende nicht für alle. Wenn die Schlange länger wird, legen die Frauen an der Essensausgabe einen Zahn zu. Jetzt sitzt jeder Handgriff. Richtig stressig wird’s hier erst, wenn die Kasse nicht mehr läuft oder die leeren Beilagenbehälter nicht rechtzeitig nachgefüllt werden. Friedrich kommt trotzdem gerade so hinterher. Die Möhren kullern, die Soße fließt. „Dürfte ich doch Wurst oder Kartoffelchips ausgeben, das geht schneller!“ Übung macht hier in jedem Fall den Meister.

Ich schöpfe derweil in der Ökomensa Essen und die Essensgäste sind nett. Nur bei einer Studentin stehe ich da in meiner Schürze mit Mützchen und frage mich: Hättest du mich nicht anders angesehen, wenn du wüsstest, dass ich auch Studentin bin? Oder bilde ich mir das nur ein? Eine Mitarbeiterin hat mir gesagt: „Wenn du hinter dem Tresen stehst, behandeln dich manche wie einen Menschen dritter Klasse.“ Vielleicht verstehe ich jetzt, was sie damit meinte.

Der heißeste Arbeitsplatz

Portionieren will gelernt sein / (c) Foto: Anna Baumann

Mittlerweile ist Friedrich in die Spülküche gewechselt. Ein Mitarbeiter und zwei Mitarbeiterinnen arbeiten an den Tablettautobahnen – aber Friedrich stellt fest, dass es eigentlich einen Helfer mehr bräuchte. Jetzt müssen alle aufs Gas drücken, damit die ausgetüftelte Reinigungsstraße nicht zum erliegen kommt. Und es muss ohne viele Worte klappen, denn die Maschinen sind so laut, dass alle Ohrstöpsel tragen. Aber das Team ist offensichtlich eingespielt und bewältigt alle kniffeligen Situationen. Auch wenn mal wieder gestapelte Tabletts die Lichtschranke alarmieren und die Tablettautobahn stehen bleibt. „Wir wissen, dass es nett gemeint ist“, sagt Herr Röber, „aber gestapelte Tabletts und Teller bringen unsere Leute immer sehr ins Schleudern.“

Außerdem ist es super heiß, die Maschinen, der Dampf, auch Teller und Besteck selbst. „Fordernd und anstrengend“, findet Friedrich diesen Job, „weil es einfach so viel ist und man gleichzeitig beide Waschstraßen im Blick behalten muss.“ Dabei sagt Mitarbeiterin Heidrun Hansen-Wege: „Heute war das Kleinkram, verglichen mit anderen Tagen.“ Manchmal hilft hier auch der Betriebsleiter mit aus, denn die Spülküche ist ein wichtiges Rad im Uhrwerk der Mensa – ohne Teller gibt es keine Essensausgabe. Uns war nie klar, dass wir unseren Teller abgeben und vielleicht schon 20 Minuten später jemand anderes davon isst. Natürlich nach gründlicher, hygienischer Reinigung.

Ich bleibe bis zum Schluss in der Ökomensa-Essensausgabe. Meine Freunde haben nur Augen für das Essen, sie sehen mich nicht. Dann entdecken sie mich irgendwann hinter der Theke. Es folgt das große Staunen und ich muss erklären. Und weiter geht es in der Schlange. Zum etwa 100. Mal erkläre ich, dass das IMMER noch eine Reisfrikadelle ist. Kann denn keiner lesen? Herr Röber hatte uns vorgewarnt: „Da vorne ist man im Showgeschäft.“ Und aus Erfahrung wusste er auch: „Wenn mal ein Gericht nicht plangemäß angeboten werden kann, DANN lesen plötzlich alle den Speiseplan und beschweren sich.“

Das Nachspülen

Nach siebeneinhalb Stunden ist der Mensatag immer noch nicht zu Ende. Es folgt das Großreinemachen, die ganze Küche wird mit Wasser geflutet, gebürstet und geschrubbt. Ich helfe Mario Hoffmann in der Topfspüle. Morgens steht er beim Praktikum in der Schule (Lehramt auf Deutsch, Geschichte) und spricht über Kafka. Mittags steht er vier Stunden in dieser „Dampfsauna“ und schrubbt. Wenn es nach ihm ginge, würde Auflauf verboten, das Kartoffelgratin klebt hartnäckig. Aber dann lacht er wieder; schön, dass hier mal Besuch kommt, diese Kammer ist sonst recht einsam.

Während schließlich die Mitarbeiter in der Umkleide noch scherzen und wir uns die nassgeschwitzten Kleider vom müden Leib schälen, kommt schon die nächste Schicht herein: Der Betrieb geht weiter mit der Abendmensa. Wir nehmen Abschied von der Mensaküche. Ab morgen stehen wir wieder auf der gewohnten Seite der Essensausgabe. Nur eins bleibt uns noch zu sagen: Liebes Mensateam, wir schwören feierlich, nie wieder Tabletts und Teller zu stapeln!

Autoren: Anna Baumann und Friedrich Laatz