Partizipationskultur an der Leuphana

Engagement in Zeiten von Bologna und Bezahlbildung.  26. November 2008, 12 Uhr, Hörsaal 2: Die studentische Vollversammlung des Wintersemesters 2008/09 beginnt – nur wo sind die KommilitonInnen? Gerade einmal 50 Personen sind anwesend, wobei mehr als die Hälfte von ihnen für Studierendenparlament und Senat kandidieren. Die Vollversammlung ist laut Satzung der verfassten Studierendenschaft das höchste Gremium und damit kommt ihr eigentlich eine hohe Bedeutung zu. „Merkst du noch was?“ lautet der Titel dieser Ausgabe. Wir wollen ganz konkret ergründen, warum die Teilhabe an Entwicklungsprozessen, egal welcher Couleur, abnimmt. Klimawandel und Weltwirtschaftskrise sollten doch eigentlich Demokratieverdrossenheit beiseite kehren und dazu anregen, „die Dinge selbst in die Hand zu nehmen“, ODER?

 

Entwicklung des studentischen Engagements

Anstelle dessen lassen sich andere Entwicklungstendenzen beobachten, an der Leuphana, aber auch bundesweit. Der 10. Studierendensurvey der AG Hochschulforschung der Uni Konstanz aus dem Jahr 2008 und die 2006 erschienene Studie „Studium – und darüber hinaus?“ der Hannoveraner Hochschul-Informations-System GmbH zeigen deutliche Veränderungen des studentischen Engagements. Mit 37% interessieren sich bundesweit deutlich weniger Studierende für klassische Politik als früher – 1983 waren es noch 54%. Immer noch engagieren sich rund zwei Drittel aller Studierenden zumindest gelegentlich, wenige jedoch in Bereichen, die eindeutig in die Kategorie „gemeinnützig“ fallen.

 

Wenngleich ein stark ausgeprägtes Interesse an (studentischer) Hochschulpolitik traditionell eher gering und nur bei etwa 5-7% der Studierenden anzutreffen ist, ist in den letzten 15 Jahren zudem die Zahl der ‚Weltverbesserer’ deutlich gesunken, während die Konventionellen und Ambivalenten heute die Zweidrittelmehrheit ausmachen. Die meisten Studierenden engagieren sich im (Hochschul-)Sport. Dieser ist nicht per se gemeinwohlbezogen. Ein hoher Prozentteil engagiert sich auch in Vereinen und Kirchen und damit außerhalb der Universität.

 

Gründe für die „Partizipationsabstinenz“

SoziologInnen wie bspw. Robert Putnam aus den USA können belegen, dass die Zahl der sozial Engagierten und der politisch Interessierten seit den 1960er Jahren beständig sinkt, gerade unter Studierenden und HochschulabsolventInnen. Warum setzen sich auch die Studierenden nicht für Ihre Belange ein? Tino Bargel, Initiator des Studierendensurvey sieht die vermehrte Teilnahmslosigkeit, Verringerung bei den Aktiven als auch beim Publikum der Hochschulpolitik, der Gestaltung und Entwicklung, der Abstinenz, der Einflussnahme und des Verzichts auf Interessenvertretung als Beleg dafür, dass für viele Studierende die Hochschule kein Lebensraum mehr ist, der sie angeht. Sie mögen sie als „Dienstleistungsunternehmen“ ansehen, an dem sie nicht mitwirken, sondern nur als Kunden ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit dem Angebot äußern. Gleichzeitig hat sich auch das Verhältnis der Befürwortung von Solidarität und Wettbewerb gewandelt. Heute sehen (vor allem männliche) Studierende Wettbewerb als etwas Notwendiges und Positives, während die Funktionen einer solidarischen Gemeinschaft nur noch von Wenigen als relevant erachtet werden. Diese Änderung der studentischen Haltung zur Hochschule hat sich vor allem im neuen Jahrtausend verschärft, nachdem sie sich in den 90er Jahren bereits abzeichnete.

 

Transformation: Mitgliedschaft ist OUT – Projekt ist IN

Die meisten Studierenden sind heute kurzfristig und punktuell aktiv, Mitgliedschaften, wie etwa in den Referaten des Allgemeinen Studierendenausschuss’ AStA,, oder die Leitung von Initiativen sind ‚out’. Engagement ist somit zum Projekt geworden, das man nach einer Weile abschließt um dann etwas Neues zu starten. Beispielhaft seien hier die Festivals Lunatic und RADAR genannt. Gegen freiwillige und ehrenamtliche Arbeit führen viele Befragte ein zeitintensives Studium und den Zwang zur Erwerbstätigkeit an. Auch Sorge um berufliche Aussichten dürfte einige dazu veranlassen, dem Studium Priorität einzuräumen. Der Vorteil von Projekten gegenüber der Förderung von festen und demokratischen Strukturen liegt auf der Hand. Demokratische Abstimmungsprozesse sind langwierig, komplex und kosten häufig Nerven, während Projekte eine klare Zieldefinition besitzen und der Weg dorthin meist nur operationalisiert werden muss. Wenn eine studentische Ordnung nach vier StuPa-Sitzungen und zahlreichen Ausschusssitzungen endlich verabschiedet ist, sind die Beteiligten eher froh, dass es endlich abgehakt ist, gleichzeitig ist die öffentliche Wirkung eher gering. Es drängt sich die Frage auf, wie die studentischen Vertretungen und Gruppen damit umgehen. Alle kämpfen mit der Problematik von in Prä-Bologna-Zeiten gewachsenen Strukturen.

 

Positionen der „Funktionäre“

Bei einer Wahlbeteiligung von unter 30% stellt sich die Frage nach der Legitimität studentischer Funktionäre, wie etwa der SprecherInnen des AstA, des DSi (Dachverband der Studierendeninitiativen) und des DpI (Dachverband der politischen Initiativen), sowie der studentischen Senatoren. Dennoch stellen sie den Kern einer Gruppe aktiver Studierender dar, die im Gespräch zur Partizipationskultur an der Leuphana Stellung bezogen haben. Sie sind sich in einer Sache einig – ein Rückgang an Partizipation hat sich vollzogen in den vergangenen vier Jahren. „Es gibt nur noch einige wenige, die einen Hauptteil der Arbeit übernehmen. Das zeigt sich auch im AStA: das Öffentlichkeitsreferat und das Politikreferat stehen kurz vor der Auflösung.“ Ähnliche Positionen gab es in den vergangen Jahren auch in Fachschaften und Initiativen zu hören und zu beobachten.

„Leider erlaubt der straffe Zeitplan der Bachelor- und Master Studiengänge – die ja im wahrsten Sinne des Wortes ein Vollzeitstudium sind – kein großartiges Engagement mehr“, fasst DSi-Sprecherin Fides Brückner die hauptsächlichen Gründe aus Sicht der Studierenden zusammen. Der Blick in die Zukunft ist bei allen auch durchaus düster gezeichnet. „Wenn es keinen demokratischen Urknall an den Universitäten gibt, wird die politische Teilhabe mangels formaler Möglichkeiten und geringer Bereitschaft mitzuarbeiten, marginalisiert“, so Michèl Pauly, Mitglied der DpI-Geschäftsführung. Problematisch ist auch die stattgefundene Entwicklung der Funktionärspositionen – aber auch die der generellen Strukturen, in den vergangenen Jahren. Sie erfuhren durch das Engagement der Beteiligten eine starke Form der Professionalisierung, was nunmehr, in Bologna-Zeiten Bachelorstudierende mit einem niedrigeren Zeitkontingent davon abhält, diese Arbeit fortzuführen.

Ausblick

Abschließend ist zu sagen, dass die Aufnahme von Leitungspositionen daher dringend niedrigschwelliger werden muss. Gleichzeitig ist eine Flexibilisierung der Strukturen gefordert, um das heute eher projektbasierte Arbeiten zu ermöglichen und zu fördern, wobei eine Wahrung demokratischer Grundprinzipien Primärziel sein muss. Der neu gegründete DpI versucht einen zusätzlichen und flexiblen Anlaufpunkt zu bieten, aktiv in die Partizipation an studentischer Politik einzusteigen. „Wir müssen jetzt handeln und dafür sorgen, dass Partizipation und Meinungsäußerung auch in Zeiten des Bachelors leistbar bleibt, beziehungsweise wieder leistbar wird. Es müssen zusammen Konzepte in Zusammenarbeit der akademischen und studentischen Selbstverwaltung entwickelt werden, die Partizipation stützen und fördern“, so auch AStA-Sprecherin Philine Busch.

„Ich halte es nach wie vor für unsinnig, den Studierenden einzureden, sie müssten im Schnellzug-Tempo ihr Studium durchlaufen. Das eine oder andere Semester mehr Studium, zum Beispiel um ins Ausland zu gehen oder sich ehrenamtlich zu engagieren [Anm. d. Aut.: möglich durch Aufnahme eines Teilzeitstudiums], ist nach meiner festen Überzeugung eine sehr gute Investition in die eigene Zukunft“, so Präsident Spoun. Gehen wir nun, positiv denkend, davon aus, es geht Herrn Spoun nicht nur um die eigene persönliche und berufliche, sondern auch um die Gemeinschaft. Nichtsdestotrotz bleibt am Ende, wie immer in diesem Kontext, nur der Appell „die Dinge selbst in die Hand zu nehmen“ und Veränderung nicht nur den Führungspersönlichkeiten zu überlassen, sondern dafür zu sorgen, dass wir alle gemeinsam Führungspersönlichkeiten werden.

 

Sebastian Heilmann (Der Autor ist ehemaliger AStA-Sprecher)

 

Infokasten:

Aus Versehen Interesse an der Mitarbeit in einer politischen Hochschulgruppe geweckt? Infos gibt es auf der Homepage der grünen Hochschulgruppe www.uni-lueneburg.de/campusgruen oder per E-Mail bei Jusos (jusohsg.lueneburg@web.de) und Linke.SDS (linke.sds.lueneburg@gmx.de)

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