Muttersöhnchen, 37, sucht …

Begegnungen beim Mitbewohner-Casting. Jeder kennt das: Die WG-Suche kann ziemlich anstrengend sein. Man muss sich Kreuzverhören unterziehen, Fragebögen ausfüllen oder praktische Tests bestehen. Doch auch die Mitbewohner-Suche läuft nicht immer einfach ab. Potentielle neue Mitbewohner geben sich die Klinke in die Hand und man versucht, innerhalb kürzester Zeit zu entscheiden, ob man in Zukunft eine Wohnung teilen möchte. Einige Bewerber machen die Entscheidung aber auch denkbar einfach …

Der Anruf war nichtssagend, zur vereinbarten Wohnungsbesichtigung wusste Kristin nur, dass gleich Stefan* mit der tiefen Stimme bei ihr klingeln würde. Die Tür ging auf und dort stand er: ein End-Dreißiger mit wenigen Rest-Haaren auf dem Kopf, im langen Khaki-Anorak und mit Leder-Aktentasche in der Hand. Stefan trat ein und erzählte gleich vom Grund seiner Wohnungssuche. Der Arbeitslose wollte in Lüneburg an seinem Erstlings-Werk arbeiten, einem Buch über Weltkulturen. Seinem Vorhaben im Weg stand nur seine Mutter, bei der der 37-jährige nach wie vor wohnte. Im heimischen Elternhaus wollte partout keine Inspiration aufkommen. Das sollte sich jetzt in Kristins WG ändern. Deshalb atmete der aufstrebende Literat auch zunächst in jedem Raum die Atmosphäre ein. Von einem, der auszog, weil Mamas Wohnung einfach nicht genug Inspiration bot. Auf einen festen Mietvertrag wollte er sich nicht einlassen, denn es könne ja sein, dass Wohnung oder Mitbewohnerin sich im Endeffekt als nicht inspirationsfördernd herausstellen. Keine feste Vertragsbindung also, aber bitteschön doch ein paar Regeln für das Zusammenleben. Ab zehn Uhr abends sollte schon Ruhe in der WG herrschen, denn das ist die Uhrzeit, zu der Stefan jeden Abend ins Bett geht, um dann eine halbe Stunde Deutschlandfunk zu hören und morgens passend zum Sonnenaufgang wieder aufzustehen. Seltsam fand er, dass sich seine potentielle neue Mitbewohnerin nicht auf feste Schlafenszeiten einlassen wollte. Stefan zog dann übrigens nicht bei Kristin ein.

Riekes Kennenlernen des Zimmerinteressierten für ihre WG endete bereits am Telefon. Eines schönen Samstagmorgens klingelte ihr Handy und ein Zimmersuchender fragte zunächst noch harmlos nach der Verfügbarkeit des Zimmers und dann nach Riekes Möbelgeschmack, ob sie denn etwas gegen ausgefallene Möbel hätte. Rieke verneinte und erzählte dem Anrufer, dass er bei Interesse gerne Schreibtisch und Bett für das Zimmer übernehmen könne. Der Anrufer bedankte sich für das Angebot, erzählte dann aber, dass er schon eher auf SM-Möbel stehen würde. Rieke, frühmorgens im Bett erwischt, war zunächst ratlos, was denn diese speziellen Möbel sein könnten. Der Anrufer klärte sie schnell auf: Er würde das WG-Zimmer gerne mit Sadomaso-Möbeln ausstatten, ob sie denn ein Problem damit hätte. Rieke hatte das offensichtlich und konnte sich wohl nicht mit dem Gedanken an eine SM-Kammer neben ihrem Schlafzimmer anfreunden. Der Anrufer musste weiter nach einem Stellplatz für seine Möbel suchen.

Letztlich ist es natürlich möglich, dass die von Stefan geforderten geregelten Schlafenszeiten nicht so dramatisch gewesen wären und Rieke sich mit dem Peitschenknallen aus dem Nebenzimmer durchaus hätte anfreunden können. Vielleicht sind die tatsächlichen Mitbewohner ja auch viel nervtötender: Sie waschen nie ab, lagern ihre Maden fürs Angeln oder die Schildkröte für die Überwinterung im WG-Kühlschrank, öffnen deine Post, hören den ganzen Tag laut Techno-Musik … oder aber, sie haben die kleinen Macken, die sicher jeder hat, und das WG-Leben klappt mit ein wenig Kompromissfähigkeit bestens.

Von Jelka Göbel

(* Name von der Redaktion geändert)