Is’ ja irre!

Auf den Spuren des Wahnsinns. „Das ist Waaahnsinn, …?“ befand schon Wolfgang Petri 1983 in seinem berühmten Schlager, als er seinen bevorstehenden Höllenritt ankündigte. „Wahnsinnig“ ist heute fast alles, was unsere Bewunderung oder Abneigung erfährt, was schwer zu begreifen ist oder was uns beeindruckt. Mit Sicherheit beschreibt es Ausgefallenes und Besonderes. Das Adjektiv ist fest in unserem Wortschatz verankert – wie auch Google bestätigt. Die Suchmaschine spuckt nicht weniger als 4.170.000 Millionen Treffer aus, wenn der Begriff eingegeben wird. Aber was war seine ursprüngliche Bedeutung?Beginnen wir eine kurze Annäherung. Angeblich liegen die Wurzeln im 15. Jahrhundert, in dem das Wort „wahnsinnig“ zum ersten Mal nachgewiesen wurde und sich von „wahnwitzig“ ableitete. Dieses musste sich wiederum erst von seinem großen Bruder, dem althochdeutschen Begriff „Wanwizzi“ (leer, mangelhaft) loslösen und etablieren. Bis Ende des 19. Jahrhunderts galt der Wahnsinn als eine Abweichung von den gängigen Verhaltens- beziehungsweise Denkmustern, die gesellschaftlich in den jeweiligen Zeitepochen als soziale Normen festgeschrieben wurden – und ja auch immer noch festgeschrieben werden.

Schon die Gelehrten in der Antike hatten eine Erklärung für den Zustand, der später als Wahnsinn bezeichnet wurde. So beschreibt die Dichterin Sappho Wahnsinn als eine körperliche Krankheit, ausgelöst durch unerfüllte Liebe. Im 18. Jahrhundert dagegen galten entzündete Gehirnhäute nach damaligem Forschungsstand als eine mögliche körperliche Ursache für Wahnsinn. Diese wiederum wurde ausgelöst durch bittere Galle, die angeblich die Gehirnfasern reizen würde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde dann die Sexualität als Erklärung für Wahnsinn angeführt. Die Geschlechtszugehörigkeit spielte besonders für Frauen eine große Rolle. Sie galten in dieser Epoche als triebhaft und zur Hysterie neigend. Letzteres aufgrund ihres schwachen Nervenkostüms und ihrem Unterleib, der je nach Lage der Gebärmutter, den Frauen Erstickungsgefühle verursacht haben soll. Menstruationen, Geburten und Menopausen wurden besonders kritisch betrachtet, denn in diesen Phasen wurde befürchtet, dass Frauen äußerst gefährdet seien, dem Wahnsinn zu verfallen. Männer dagegen symbolisierten die bürgerliche Zivilisation – ihr Risiko zu erkranken, war nach damaliger Auffassung deutlich geringer. Therapieformen gegen die Krankheit gab es in großer Vielfalt. Neben magischen Therapieformen, bei denen beispielsweise

exorzistische Riten abgehalten wurden, liefern bereits steinzeitliche Schädel Hinweise darauf, dass chirurgische Maßnahmen ergriffen wurden, um die Krankheit zu besiegen, wie Bohrungen in den Schädeldecken belegen. Es wird vermutet, dass bösartigen Geistern auf diese Weise die Möglichkeit gegeben werden sollte, aus dem Kopf des Erkrankten zu entweichen. Äußerst schmerzhaft muss es aber auch noch Mitte des 20. Jahrhunderts zugegangen sein. Zu dieser Zeit glaubten Mediziner an den Erfolg der Elektrokrampftherapie, die ohne Narkose durchgeführt wurde. Da war es wahrscheinlich schon angenehmer „nur“ in

Internierungsstätte gesperrt zu werden, so wie im 18. Jahrhundert in den deutschen, englischen und französischen Zuchthäusern geschehen. Die Idee war, durch Züchtigung und strenge Arbeit der sogenannten „Unvernunft“ entgegen zu wirken und die Betroffenen auf die Art zu heilen. Der Begriff Wahnsinn wurde inzwischen von dem der „Geisteskrankheit“ ersetzt und dieser schließlich von der heutigen Bezeichnung „psychische Störung“ oder auch „Verhaltensstörung“ abgelöst. Glücklicherweise wird heutzutage, je nach Krankheitsbild, meist in einer Mischung aus Medikamenten und psychotherapeutischen Maßnahmen versucht, den Patienten zu helfen. Und da sagen doch manche: „Früher war alles besser!“ Ganz schön wahnsinnig!

 

Annika J. Höppner