Anna Stojan - Pons

Introvert gone wild! – Allein im Pons

Ich, allein in der Kneipe. Stelle ich es mir lustiger vor als es werden würde? In meinen Gedanken sitze ich wie die Kerle aus den Filmen lässig (ohne Liebeskummer) am Tresen. Was daraus wurde, lest ihr in der neuen Kolumne.

Tagelang habe ich überlegt, ob ich es mache. Tagelang habe ich mir ausgemalt, wie es sich anfühlen würde. „Ich stelle es mir eigentlich ganz witzig vor“, schreibe ich meiner Schwester. „Ich mir auch, mach das ruhig.“ Ich stehe mitten in meinem Zimmer und ziehe meine Kopfhörer an. Fly me to the moon ist der Song, zu dem ich mir Motivation antanze.

Wie ich so durch das Zimmer tanze, überkommt mich tatsächlich eine gewisse Vorfreude. Stelle ich es mir allerdings lustiger vor, als es sein würde? Kaum sitze ich auf dem Fahrrad, fluche ich wieder kurz. Es ist noch kälter als beim letzten Mal. Ich hatte mir eine Weile Gedanken darüber gemacht, was ich anziehen soll. Ich würde jetzt allein in die Kneipe gehen, ich war mir nicht sicher, was das für eine Frau bedeutet. Schließlich hatte ich sowas noch nie gemacht. Wie ist das Kneipenleben heutzutage? Ich hatte Bilder im Kopf, Bilder aus Filmen. Und es ist immer der Mann, der sich allein in die Kneipe setzt. Reproduzierte Geschlechterrollen, denke ich und klatsche mir mental in die Hände.

Meine Augen tun während der Fahrt vor Müdigkeit ein wenig weh. In der Stadt fahre ich am Weihnachtsmarkt vorbei, überall leuchten schon die Lichterketten an den Schaufenstern, auf den Straßen stehen Tannenbäume. Ich bleibe vor dem Pons stehen, atme durch. Ok, dann mal los. Mehrmals die Woche laufe ich wie eingespielt in mein Lieblingscafé, meistens allein, und doch fühlt sich das hier super weird und falsch an. Sowas scheinen, wie gesagt, nur Männer zu machen, aber Frauen in meinem Alter sieht man eher selten allein in der Kneipe rumhängen. Aber ich bin ja großer Fan davon, gesellschaftliche Regeln zu provozieren und setze mich direkt an die Theke. Der nette blonde Kellner-Bär kommt direkt auf mich zu. „Was darf’s sein?“, sein Lächeln ist herzlich und direkt einladend. „Ich schau noch“, ich lächle fröhlich zurück und fühle mich direkt viel weniger bescheuert. Ich blättere durch die Karte. „Die älteste Kneipe Lüneburgs – Vegetarische und vegane Speisen“. Eine Abgefahrene Kombi, die mich als Vollblut-Veganerin hoffen lässt. Die Kellner*innen sehen alle etwas alternativ aus, passt dazu. „Ich nehme einen Bananenweizen“, strahle ich Kellner-Bär an. Eigentlich wollte ich keinen Alkohol trinken, aber bei Bananenweizen bekomme ich direkt positive Flashbacks – vor allem wegen des Bananennektars.

In einer Nacht, in der man mich mal wieder überredet hatte, in einen Club zu gehen, es muss bestimmt 2-3 Jahre her sein.  Meine Stimmung wieder sehr moderat. Das änderte sich, als ich an der Bar den Bananennektar entdeckte. Das zuckersüße Getränk hat mich den Rest der Nacht über die Tanzfläche schwingen lassen. Jetzt wundere ich mich in jedem Club, ob sie wohl Bananennektar verkaufen. Bananenweizen war dem an diesem Abend am nächsten gekommen. Vor mir streckt ein Miniatur-Buddha mir seine kleine Plauze entgegen. Es gibt grundsätzlich keinen Unterschied zu meinem Café-Besuch, außer der Tageszeit und das die Kneipe etwas schmuddeliger ist als die Cafés, die ich besuche. Kellner-Bär stellt mir das Weizen auf die Theke: „Bitte, meine Liebe.“ Ich würde den gerne mit nach Hause nehmen. Den Bären, nicht das Weizen.

Das kann Nachtleben also auch bedeuten. Es ist erst halb zehn, wir wollen mal nicht übertreiben, aber ich habe abends ausgehen als viel anstrengender im Kopf behalten. Das mag aber vielleicht auch daran liegen, dass ich dieses Mal ausnahmsweise allein unterwegs bin. Die laute Kulisse macht mir allerdings schon etwas zu schaffen. Vom anderen Ende der Theke beobachtet mich ein Mann. Er ist auch alleine da und unterhält sich ausgiebig mit den Kellner*innen – vielleicht ein Stammgast? Ich glaube, seine Blicke gelten jedoch nur der Verwirrung über die junge Frau, die die ganze Zeit in ihr Notizbuch schreibt. Ja, ich weiß nicht, was ich sonst hätte allein in der Kneipe machen sollen. Dass ich einfach so in ein Gespräch verwickelt werde, ist bei meiner Prädisposition ja nicht unbedingt gegeben. So, don’t @ me. In der Zeit, die ich an der Theke verbringe, ist der Wechsel meiner Nachbarn immens hoch. Erst sitzen zwei junge Männer links neben mir, die sich in einem Mischmasch aus Französisch, Englisch und Deutsch über die Uni unterhalten. Sobald sie weg sind, nimmt eine middle age Frau, auch allein, ihren Platz ein. Und wenn ihr euch jetzt eine Frau vorstellt, die aussieht, als würde sie allein in eine Kneipe gehen (also ich muss sagen, ich habe ein Klischee im Kopf), dann liegt ihr falsch. Ihr würde man das wohl genauso wenig nachsagen wie mir. Sie unterhält sich angeredet mit Kellner-Bär, sie scheinen sich zu kennen. Dass sie nicht dem Klischee in meinem Kopf entspricht, erklärt sich, als eine weitere Frau in die Kneipe kommt und auf sie zustürmt. Doch nicht allein hier. Ich hatte mich schon über die Gleichgesinnte gefreut. Mit der Zeit wird das Pons eher leerer als voller. Vermutlich sind alle schon vom Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt besöffelt.

Der Mann am Ende der Theke starrt noch besser in die Luft als ich. Ich sitze jetzt seit einer Stunde hier und bin jetzt schon sehr tipsy. Für jemanden, die so selten trinkt, ist dieses Bananenweizen ein Monster an Getränk und ich habe gerade mal die Hälfte geschafft. Kellner-Bär lächelt mir aufmunternd zu. Außer mir und den Kellner*innen ist das Publikum heute eher so +40. Ich merke, dass mich dieses Experiment nicht gleich geschwätziger machen wird. Die Stimmung ist gediegen, keine klischeehafte Kneipenstimmung am Start. Ich stelle zudem fest, dass Alkohol sehr hinderlich sein kann, wenn man zu Recherchezwecken unterwegs ist. Für mich ganz und gar kein Mittel für mehr Abenteuer. Ich werde immer müder, in meinem Kopf ist ein leichter Durchzug. Ich staune über die Menschen, die ihr Bier in wenigen Minuten wegtrinken, während ich nun schon 1 ½ Stunden mit meinem Weizen kämpfe. Ich starre in die Luft, merke, dass ich kaum noch einen Gedanken formulieren kann. Genug Alkohol für die nächsten Wochen, es bleibt für mich einfach unsexy, diese Wolken im Kopf. Der Mann neben mir redet seit bestimmt fünf Minuten euphorisch mit der Frau neben sich über Zeitmaschinen. Jedes Mal wird er bei dem Wort ein wenig lauter, dem Rest seiner Worte kann ich nicht folgen. Ich glaube, hier ist diese Nacht nichts mehr zu holen. Kellner-Bär kassiert mich ab und wünscht mir noch ein „wunderschönes Wochenende“. Dir auch, Kellner-Bär.

Ich freue mich ein wenig zu sehr, als ich draußen um die Ecke eine Pöbelei beobachte. Da ist meine klischeehafte Kneipenstimmung. Und ich hatte Recht, der Glühwein war heute Nacht das Wahlgetränk der meisten Menschen. Die Gruppe aus Männern und Frauen taumelte unkoordiniert über die leere Kreuzung und löst sich in alle Richtungen auf. Jetzt kann ich zufrieden und ein bisschen beschämt über die Freude nach Hause fahren. Ich schaffe es noch, mir den Tag aus dem Gesicht zu waschen und mir die Zähne zu putzen, falle dann aber wieder sofort ins Bett. Dieses Mal ist mir wieder sehr deutlich, wieso ich kein Nachtmensch bin und ich sehne mich schon nach einer Pause von den abendlichen Ausflügen. Ich liege im Bett und es fühlt sich ein bisschen an wie Karussell.

Anna Stojan

Schreibt in ihrer Kolumne über ihre ersten Erfahrungen im Lüneburger Nachtleben. Genießt sonst eher das Tageslicht und, ganz uneingebildet, ihre eigene Gesellschaft.

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