Große Verleihungen, wenig Vielfalt

Unsere Autorin findet, dass sich in letzter Zeit die berechtigte Kritik an Formaten wie der Oscar-Verleihung, den Grammys oder der Berlinale gehäuft hat. Zeit für einen Rundumschlag und die Frage, was das Kulturgeschäft eigentlich mit dem US-amerikanischen Gesellschaftsbild zu tun hat.

The Oscars / (C) flickr - Julia
The Oscars / (C) flickr – Julia

Man kann vom intellektuellen Wert der Oscars für die weltweite Kulturlandschaft halten, was man will, Fakt ist, dass auch die 88. Verleihung der Academy Awards wieder die größte mediale Aufmerksamkeit erhalten wird und die Oscars für viele daher als renommiertester Filmpreis weltweit gelten. Das Pendant im US-amerikanischen Sport ist der Superbowl und in der amerikanischen und internationalen Musiklandschaft sind es die Grammys. Beschränkt man sich auf Deutschland, ist das größte Filmfestival die Berlinale. Alle benannten Großereignisse teilen jedoch nicht nur ihre Bekanntheit, sondern auch die harsche Kritik, die in diesem Jahr an ihnen geübt wurde.

Die Veranstaltungen seien zu homogen, zu weiß. In einer Zeit, in der in den USA täglich willkürliche repressive Polizeigewalt und Übergriffe gegen Afro-Amerikaner stattfinden, hat auch die obersten Kulturschaffenden in ihrem Elfenbeinturm die Kritik erreicht.

Diese Kritik wird nicht erst seit 2016 an Großveranstaltungen geübt, doch verstärkt sie sich in den Zeiten, in denen Exekutive und Judikative der USA immer wieder aufs neue als diskriminierend und willkürlich handelnd entlarvt werden. Wenn Polizisten freigesprochen werden, die auf Videos eindeutig grundlos Gewalt gegen Afro-Amerikaner oder andere Minderheiten anwenden, dann läuft etwas falsch im Staate USA. Es geschehen immer wieder ähnliche Vorfälle mit ähnlichen Bildern. Die Netzgemeinde, die neue Videos verbreitet, kann indes nicht viel mehr machen als zuzusehen, wie Täter wieder freigesprochen werden.

„Straight Outta Compton“, das Biopic über die legendären Hip-Hop-Crew N.W.A (u.a. Ice Cube und Dr.Dre), ist tragischerweise sehr aktuell – im letzten Jahr der zweiten Legislaturperiode des ersten schwarzen Präsidenten der USA. Die Szenen der Polizeigewalt in den 1980ern aus dem L.A. Vorort Compton erinnern an genau die Beweisvideos aus 2015, die im Netz und anderen Medien kursieren.

Die Kritik, die in Beyoncés Beitrag zur Halbzeitshow des Superbowls vor wenigen Wochen gipfelte,  gibt der bekannte Regisseur Spike Lee Joint schon seit Jahrzehnten über das US-amerikanische Fillmgeschäft zum Besten. Auch an den diesjährigen Academy-Awards übt er mit seiner #OscarSoWhite-Kampagne Kritik und fordert zum Boykott der Veranstaltung auf. Kein afro-amerikanischer/britischer Schauspieler wurde nominiert, obwohl es durchaus potentielle Kandidaten und Filme gegeben hat.

Lees neuster Film „Chi-Raq“ ist eine wunderbare Hommage an die griechische Sage Lysistrata, in der keine Verse gesprochen werden, sondern die verfeindeten Clans des Chicagoer Viertels ihren Text rappen. Premiere feierte der Film auf der Berlinale. In Deutschland sind Veranstalter und Jury bei der Auswahl der Filme stets auf Internationalität und Vielfalt bedacht.

Anders sieht es jedoch in der Jury aus, dort saß seit fünf Jahren kein Schwarzer mehr als Juror. Die provokante Frage, ob dieser Zustand Jurymitglied und Schauspieler Lars Eidinger eigentlich schon aufgefallen sei, kam während er Pressekonferenz von niemand geringerem als Tobias Schlegl, unter anderem Moderator bei Extra 3. Eidinger schaute zuerst auf seine wie immer schwarz lackierten Fingernägel und redete sich dann um Kopf und Kragen.

Ähnlich erging es der Juryvorsitzenden Meryl Streep bei einer Frage zu arabischen Filmen auf dem roten Teppich. Die Antworten beider Schauspieler waren eher unbefriedigend und konfus und nicht gerade ein Ausspruch für die Vielfältigkeit von Juryauswahl und Filmlandschaft.

Währenddessen las Spike Lee Joint die Todesopfer von Polizeigewalt bei der Pressekonferenz für „Chi-raq“ von seinem Handy ab und folgte dem Kurs des #OscarSoWhite. Trotz wirrer Aussagen von Juroren, wurde die Berlinale ihrem Ruf als politisches Filmfestival gerecht. Die Frage ist nur, ob die Jurymitglieder und Veranstalter sich im Grundsatz eigentlich schon mit dem Problem der Diskriminierung in ihrer Branche beschäftigt haben.

Das am kürzesten zurückliegende Großevent in der Popwelt waren die Grammys. Dort erhob Kendrick Lamar auf der Bühne die Stimme gegen Diskriminierung. In seinem Song „The Blacker The Berry“ strotzt jedes Wort von der Wut, die er auf die Polizeigewalt hat. Zu der wichtigen Aussage reihen sich Lamars einmaliges dichterisches und musikalisches Talent. Der Kritiker-Liebling und Shootingstar wird bei den Grammys trotzdem nicht mit dem belohnt, was ihm zustünde.

Denn wie immer ist in den USA zwar Kritik erlaubt, aber bitte nur in Maßen. Und Rap soll in der Niesche bleiben, wo er hingehört. So sahnte Popsternchen Taylor Swift den Preis für den besten Song ab, zwar war Kendrick Lamar beteiligt, jedoch ohne einen Funken seiner wichtigen Meinung im nervigen, inhaltlich- und musikalisch-platten „Bad Blood“.

Und nun folgt morgen Nacht die Crème de la Crème der kulturellen Großevents. Die Quoten-Minderheit ist für die Oscarverleihung dennoch erst einmal abgedeckt. Chris Rock moderiert die diesjährigen Academy Awards und der Jury steht eine afroamerikanische Frau, Cheryl Boone Isaac vor. Sie hat sich dafür ausgesprochen, in Zukunft eine Quote für Minderheiten beim Nominierungsprozess einzuführen. Da sind wieder die alten Quoten, ab jetzt auch in Preisverleihungen. Vielleicht ein guter Anfang, aber sicherlich keine Lösung für ein gesamtgesellschaftliches Problem – wohl wie immer eher Symptom als Ursachenbekämpfung.

Autor: Antonia Wegener