Gestohlene Hoffnungen

Eine persönliche Bilanz des ersten Jahres Leuphana Bachelor Kulturwissenschaften Fundierte Kritik an dem neuen Leuphana Konzept gibt es an anderer Stelle nachzulesen, z.B. in der ASTA- 2.0, dem WKN Bericht oder den Senatssitzungs-Protokollen. Doch die erzählen wenig von den subjektiven Erwartungen und Hoffnungen der „Leuphanten“. Ein paar persönliche Stimmen, die sich zur 2. Runde des Leuphana Bachelors Kulturwissenschaften melden.

„Über Freunde bin ich auf die Leuphana aufmerksam geworden“ erzählt Lisa* „Die Uni-Webseite war sehr viel versprechend aufgemacht. Ich dachte: Hier kann ich in einem sehr praxisorientierten Studium die für mich relevanten Schwerpunkte im Major studieren: Medien und Kommunikationswissenschaften. Ich habe mich sehr gefreut, als ich angenommen wurde.“
Nach der Einführungswoche dann der Schock: Statt wie versprochen aus 5 Schwerpunkten des Majors zwei wählen zu können, wurden nur noch vier angeboten, von denen einer zur Wahl stand. „Unser Koordinator für den Major stand in der 1. Informationsveranstaltung vor uns, als schon alles zu spät war und erzählte uns ‚aus organisatorischen Gründen müssen wir das jetzt so machen.‘ Ich fiel aus allen Wolken.“

Bis Anfang 2008 waren die Falschinformationen Online- ein riesiges Kommunikationsproblem
Die Studienordnung sollte bis zum Ende des Semesters nicht fertig werden. Trotzdem hielt es die Uni nicht für nötig, die betreffenden Internetseiten mit den Falschinformationen offline zu nehmen. Anfang 2008 fanden Schnuppertage an der Uni statt- an denen die gleichen Hochglanzbroschüren ausgegeben wurden, die schon die schon die ersten Leuphanten erhalten hatten – und 5 Schwerpunkte anpriesen. „Es war einfach ein riesiges Kommunikationsproblem. Wenn wir früher gewusst hätten, dass wir nicht das studieren können, was versprochen wurde, hätten wir uns sicherlich anders entschieden. Das Konzept Leuphana an sich finde ich ja gut, nur für mich nicht, weil glasklar war, dass ich zwei Schwerpunkte studieren will.“
Lisa tröstete sich zunächst damit, dass sie ihre Module aus dem Integrationsbereich frei aus allen Fächern wählen würde können. Das wären dann immerhin im gesamten Studium sechs Module aus ihrem anderen Wunsch-Schwerpunkt. Dass diese Rechnung nicht aufging, bemerkte sie erst, als sie in „mystudy“ ihren Stundenplan für das nächste Semester zusammenstellen wollte. Die Module für den Integrationsbereich waren für alle Semester vorgeschrieben. „Wieder ohne es öffentlich zu kommunizieren, ich habe das wirklich eher durch Zufall herausgefunden.“
Lisa hatte die Nase voll. Sie studiert nun Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Uni Hamburg mit dem Nebenfach BWL und ist „sehr happy.“

Übrigens nur eine von 3 StudentInnen, die nach dem 1. Semester das Studium abbrachen, weniger als 1,5%. Die offizielle Statistik nach dem Sommersemester 08 liegt dem I-Amt noch nicht vor.

„Ich habe nur die dicken Dollarzeichen über der Leuphana gesehen“
So schlimm kann es also für die anderen nicht gewesen sein. Oder doch?
Drei hier Gebliebene stehen Rede und Antwort.

Ihr Urteil fällt sogar noch drastischer aus. „Auch wir waren von dem tollen Internetauftritt beeindruckt. Das wird Elite! Das wird toll! Spoun und Keller haben Leuphana bei der Begrüßung so gehypt, wir waren total verblendet“, meint Mareike.
Geblendet haben auch die Hochglanzbroschüren, welche die Fallstudien- Startwoche begleiteten, in denen ein fiktives Theater gerettet werden sollte. „In der ersten Woche habe ich nur die dicken Dollarzeichen über der Leuphana gesehen. Ein Prof wurde aus New York eingeflogen, einer aus der Schweiz- in meinen Augen völlig sinnlos.“, so Annabelle. Mareike, Annabelle und Simone hatten gehofft, in der Startwoche die Uni richtig kennen zu lernen. Wie funktioniert das mit der Mensacard, wo finde ich was etc. „Stattdessen wurde in der Fallstudie irgendwelches BWL-Wissen gefordert, dass wir noch gar nicht hatten. Wir sind rumgehetzt, mussten Interviews mit irgendwelchen Schauspielern führen. Wir waren überfordert und überbetreut. Trotzdem hatten wir am Ende der Woche nichts von der Uni gesehen, keine sinnvollen organisatorischen Sachen. Wir waren total fertig.“ Sagt Mareike. „Wir fühlten und verarscht“ ergänzt Simone.

Auch das erste Semester hielt nicht das, was die Hochglanzbroschüre versprach. Sie sollten in die Lage versetzt werden, eine Hausarbeit schreiben zu können, wissenschaftlich zu arbeiten. Dafür war ein „Leuphana-Leitfaden“ entwickelt worden. Annabelle berichtet „Den hat niemand beachtet. Der Unterricht in den einzelnen Gruppen war total unterschiedlich. Im Endeffekt wurde doch alles voraus gesetzt.“
Die Konferenzwoche im März stand unter dem Thema „Verantwortung im Zeichen der Nachhaltigkeit.“ Mareike berichtet „Nachhaltig ist hier gar nichts. Für jeden Einzelnen wurden Hochglanzbroschüren und Mappen gedruckt. Jeder bekam ein Namensschild. Kein einziger Dozent hat teilgenommen und von uns waren auch nur 50 Leute da. Uns war das zu blöd.“

„Wir werden die Taxi- Elite, da kommt man auch viel rum“
Der von ihnen gewählte Schwerpunkt Tourismus wurde zum Glück nicht gestrichen. Trotzdem studieren sie nicht das, was sie wollten. „Wir hören doppelt soviel Kulturgeographie wie Tourismus, in dem Feld wird nur eine Veranstaltung pro Semester angeboten.“ klagt Annabelle. „Der Prof ist eigentlich Experte für Kulturgeographie. In Tourismus hat er sich für die Veranstaltung eingelesen. Wir lernen da nichts.“ Insgesamt hatten sie sich ein praxisorientiertes Studium versprochen, in dem man lernt, was in der Wirtschaft erwartet wird. Das ist bei einem Schwerpunkt Tourismus mindestens eine Fremdsprache. Insgesamt dürfen die Leuphana Bachelor aber nur in zwei Semestern eine Sprache belegen. Was sich auch schon schwierig gestaltet, da sich das Problem des Unterangebots im Bereich Sprachen noch verschärft hat. „Man muss doch Verhandlungssicher sein in einer Fremdsprache. Ich will mein Spanisch mehr vertiefen“ fordert Annabelle „700 Euro! Da gehe ich doch lieber in den Volkshochschul- Kurs. Da muss man sich wenigstens nicht um die Plätze prügeln.“ Ergänzt Mareike.
Das Studium ist insgesamt nicht auf Tourismus ausgelegt, obwohl es so heißt. „Wenn Du hier raus gehst, kannst Du Dir sicher sein, dass Du nichts kannst. Da hätte ich eher eine Ausbildung machen sollen, da weiß man wenigstens, was man später kann. Wenn man hier nur im Stich gelassen wird. Die nationale Presse kam aus der Lobhudelei ja nicht heraus. Auch von Spoun und Keller wurden wir total verblendet. Wir haben es erst gemerkt, als wir richtige Professoren vor uns sitzen hatten. Die sind auch alle gegen Leuphana, das merkt man an den zahlreichen Seitenhieben, die sie fallen lassen. Die Nachricht war ‚wechselt, so schnell ihr könnt.‘ Wir saßen da und dachten ‚was habe ich mit meinem Leben gemacht.'“

Selbst die Studenten, welche die versprochenen Schwerpunkte wählen konnten, können also nicht das studieren, wofür sie her gekommen sind. Auf das Arbeitsleben im Tourismus werden sie nicht vorbereitet, Inhalte nicht vermittelt. „Wir werden die Taxi- Elite. Da kommt man auch viel rum“

Fühlen und malen- auch Scheller wurde es zu bunt
Besonders deutlich wurde die kritische Haltung der Professoren auf einer Graduiertenveranstaltung, als der Wirtschaftsinformatik- Dekan Hoffmann durch die Blume dem anwesenden Spoun die Meinung sagte. Dem gefror das Lächeln. „Wir fanden das witzig“, erinnert sich Simone.
Mareike schien der Gang ins Präsidium unausweichlich. David Scheller-Kreinsen, damals zuständig für das Leuphana College, hörte sich ihre Beschwerden an. Im Komplementärstudium musste sie einen Audio Guide für die Kirche St. Johannis erstellen, jede Woche die Ergebnisse präsentieren, sich um Marketing und Werbung kümmern. Am Ende eine Hausarbeit abgeben. Für dieselben Credit Points sollten ihre Kommilitonen in „Kunst und Ästhetik“ ihre Gefühle malen oder im Chor singen. Das stünde in keinem Verhältnis. Das Audio Guide Projekt hätte sie nicht interessiert, sie komme nicht in die Sprachkurse, habe kaum Tourismus. Scheller hörte sich alles lächelnd an und erwiderte auch etwas, das nur scheinbar ohne Inhalt war, geschweige denn Lösungsvorschlägen. Die Art der Kommunikation, wie sie im Präsidium üblich ist, wurde schon an vielen Stellen angeprangert. Mittlerweile hat Scheller die Leuphana verlassen. Seine Nachfolgerin ist Anja Mensching. „Die mag ich echt gerne“ betont Mareike „Es tut mir leid, dass sie jetzt als Blitzableiter missbraucht wird von Spoun.“
Insgesamt seien die Perspektiven, die im Komplementärstudium angeboten werden, sinnvoll. Es nehme nur mehr Zeit in Anspruch als der Major, was als sinnentfremdet empfunden wird. Auch die Idee von Leuphana an sich wird sehr begrüßt. Das Problem ist nur, dass nicht das umgesetzt wird, was versprochen wird. „Für die Zukunft“ ist die Ausstattung mit Büchern über Tourismus in der Bibliothek nicht. „Die sind entweder 20 Jahre alt oder ständig ausgeliehen.“ Die BWLer hingegen sind sehr zufrieden. „Man merkt, wie es sich hier langsam zur Wirtschafts-Uni entwickelt.“
Die entworfenen Masterprogramme der Leuphana hören sich wieder sehr viel versprechend an. Aber die drei haben das Vertrauen verloren. Wenn allerdings der Leuphana Bachelor nicht akkreditiert werden sollte, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als an der Leuphana weiter zu machen. Dazu müssten sie aber einen Notendurchschnitt von mindestens 2,5 erreichen. Dies wird dadurch erschwert, dass unter den Lehrenden keine Rücksichtnahme für die zu herrschen scheint, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. „Die denken alle, wir kriegen das Geld von unseren Eltern.“

„Schon traurig, wenn man hier gelandet ist“
Wieso haben sie keine Konsequenz daraus gezogen und sind gegangen, wie Lisa? Mareike begründet „Wir hatten ja schon so viel investiert. Das Geld, der Umzug. Mittlerweile haben wir hier auch Freunde gewonnen. Im dritten Semester auszusteigen, scheint uns nicht sinnvoll, da es jetzt eh bald vorbei ist. Wo sollen wir auch hin? Unsere Scheine bekommen wir nirgendwo angerechnet. Leuphana, was ist das?“ Bei Annabelle ist die Situation noch komplizierter. „Ich habe schon ein Studium abgebrochen. Ich habe jetzt keine Wahl mehr und muss den Abschluss machen.“ Am Anfang hatten sie noch gehofft, dass sich etwas ändert. Spätestens seit auch Frau Merkel bemerkt hat, dass Partizipation zu lange dauert, haben sie die Hoffnung aufgegeben. Auch die Mitbestimmung der Otto Group im Universitätsgeschehen wird bedauert. „Die lassen sich kaufen. Ist schon traurig wenn man hier gelandet ist.“

Was ist hier passiert? Wie können Versprechung und Realität so weit auseinander klaffen? Thies Johannsen, studentischer Senator der Leuphana, versucht zu erklären: „ Das Konzept sieht auf dem Reißbrett toll aus, funktioniert aber nicht. Hier steht ein Marketingkonzept einer Universitätskultur gegenüber, die erst noch verschmelzen müssen. Die Universitätskultur ist nicht aus der Mitte gebildet worden sondern wurde übergestülpt, oktruiert. Das Präsidium will seine Vision verwirklichen mit seinen Reformen und dem dazu gehörigen Marketing. Die Umsetzung passiert hier so schnell, unter Einbeziehung von so vielen externen Institutionen, dass sich keine genuine Unikultur bilden kann. Es wird ein Produkt geschaffen, Produkt Universität, was man nach außen hin kommunizieren. Dahinter steht ein sehr träger Universitätsapparat, der da nicht mitkommt. Auf menschliche Kapazitäten und Ressourcen wird keine Rücksicht genommen.“