Einmal Berlinale-Jurorin sein…

Irgendwie ging mit dem Anruf von tv5monde („wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können…“) doch ein Traum in Erfüllung. Zehn Tage Berlinale, zehn Tage Hotel, zehn Tage nonstop Filmkonsum und zehn Tage lang mit Gleichgesinnten diskutieren. Traumhaft wurde es dann auch. Denn mit einer Akkreditierung bei der Berlinale erhält man eine Dauerfahrkarte in die Parallelwelten der septième art.
Dass diese dabei mitten im Herzen der Hauptstadt zu sehen sind, ist schnell vergessen und nur nebensächlich, denn ein strikter Berlinale-To-Do-Plan lässt keine Zeit für Sightseeing, sondern führt den motivierten Besucher ab zehn Uhr in der Früh an so kuschelige und dunkle Orte wie das Cinemaxx, das Cinestar, den Berlinale-Palast etc. etc.

Doch eine Jugend-Jurorin fährt ja nicht nur zum Vergnügen auf eines der wichtigsten Filmfeste Europas. Als Mitglied der Jugend-Jury von Tv5Monde und dem DFJW (Deutsch-französisches Jugendwerk) hat man die angenehme Verpflichtung, alle Filme aus der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ anschauen und nach mehreren Jurysitzungen mit den anderen Juroren zusammen den Preis „Dialogue en perspective“ vergeben zu müssen. Ziel des ganzen ist einerseits der Austausch zwischen jungen französischen und deutschen Filmnarren und andererseits die Förderung des deutschen Filmnachwuchses. Der mit dem Preis ausgezeichnete Film wird im selben Jahr auf der deutschen Filmwoche in Paris gezeigt.

Eine der wichtigsten Anforderungen, die man erfüllen muss, um in die Jury berufen zu werden, ist, neben guten Französischkenntnissen, schlicht und einfach, eine Leidenschaft für Kino und Film mitzubringen oder, wie es die Ausschreibung formulierte, die Tendenz, auch bei Sonnenschein und 30 Grad noch gezielt einen Kinosaal aufzusuchen. Als Tätigkeit fällt dann die Lieblingsbeschäftigung an: Filmegucken. Und bei den Jurysitzungen im Anschluss darf man seiner Zweit-Lieblingsbeschäftigung nachgehen: dem Diskutieren von Filmen. Beides macht gleich viel Spaß und ist sehr bereichernd! Die Diskussionen der Jury werden geleitet von einer Jury-Präsidentin oder einem Jury-Präsidenten. Diese Stelle war in diesem Jahr fabelhaft belegt von der bereits selbst ausgezeichneten Cutterin Mathilde Bonnefoy (u.a. „Lola rennt“). Als Moderatorin leitete sie die Sitzungen und stand mit ihrem Fachwissen auch bei technischen Fragen Rede und Antwort.

Die Sitzungen kann man sich wie eine kleine Seminarrunde vorstellen, in der ein Film nach dem anderen mal aus dem Bauch heraus, dann wieder fein säuberlich nach filmwissenschaftlichen Kriterien auseinandergenommen und beurteilt wird. Jeder kommt hierbei zu Wort, und eigentlich haben auch immer alles etwas zu sagen. Ob dies nun auf Französisch oder Deutsch geschieht, hängt oft sehr vom Müdigkeitsgrad ab und kann auch mitten im Satz mal wechseln.

Mit wie viel Verantwortung so eine Jury-Tätigkeit verbunden ist und dementsprechend schwierig sein kann, stellt sich heraus, wenn am Ende zwei Filme in ein Kopf an Kopf-Rennen um den Preis treten. Da möchte man am Liebsten zwei von der Sorte vergeben. Diese Variante lässt der Hüter der „Perspektive“, Alfred Holighaus, zwar nicht zu, doch bleibt die Möglichkeit, Platz zwei auf dem Siegertreppchen mit einer lobenden Erwähnung anzuerkennen. In diesem Jahr ging der Preis „Dialogue en perspective“ an den fiktional anmutenden Dokumentarfilm „Prinzessinnenbad“ von Bettina Blümner, die lobende Erwähnung an dokumentarischen Spielfilm „Hotel Very Welcom“ von Sonja Heiss. Auch in diesen beiden Filmen taucht das (meiner Meinung nach) aktuelle Lieblingsthema der deutschen Filmemacher zumindest im Hintergrund auf: kaputte Familien. Und doch bleiben sie trotz ihrer teils schweren Thematiken stets irgendwie leicht und hinterlassen ein positives Gefühl. So wie der ganze Aufenthalt auf der Berlinale.
Anja Göbel

Und so wird man Jurorin
Wer sich für die nächste Berlinale auf einen Platz in der Jury „Dialogue en perspective“ bewerben möchte, sollte im Dezember auf den Websites des DFJW unter www.dfjw.org und von Tv5Monde unter www.tv5monde.org nach der Ausschreibung Ausschau halten. Bewerbungsschluss ist Anfang Januar.