Ein Erasmus-Aufenthalt in Italien

Welche Frau könnte sich nicht in einem Land wohl fühlen, das wie ein eleganter Stiefel geformt ist? Oder in einer Stadt der Mode und des Designs? Bella Italia! Italien ist in seiner Muttersprache weiblich und schön. Schön in allen schillernden Facetten des Wortes. Mailand ist eine Stadt, über die auf der Spitze des Doms aus rosa Marmor eine goldene Madonnenstatue, „La Madonnina“, wacht. Sie sorgt dafür, dass sich hier Frauen besonders wohl fühlen. Dass Italien wie ein Stiefel geformt ist, findet hier seine modische Entsprechung.

Die heiße Schokolade, die hier serviert wird, sollte eher geschmolzene Schokolade heißen, die Italiener machen da keine halben Sachen. Zudem ist man hier überaus höflich und manierlich. Die Liebe zur Jungrau Maria ist aus den Kirchen mit fettgoldenen Engeln schnörkelnd und arkadig über die gesamte Innenstadtarchitektur geschwappt.
Ja, hier ist die Welt noch gut: Die Bonbons sind noch in Glanzpapier verpackt und finden sich in runden Gläsern hinter nostalgischen Theken in Bäckereien mit lauter „caffè“-trinkenden Italienern. In der Post stehen noch Leute für individuell gestalteten Briefmarken an. Man bewegt sich in Straßenbahnen aus der Vorkriegszeit herum, mit Mahagonigefassten Gläsern, ledernen Haltegurten und sehr laut telefonierenden Menschen, die Menschen am anderen Ende der Leitung überschwänglich begrüßen und verabschieden; wobei man sich hinterher fragt, was der eigentliche Informationszweck des Anrufs war.
Hier ist man eben in einer oralen Kultur mit dreigängigem Mittagessen und federzartem Cappuccinoschaum, in der Männer genau so viele Wörter pro Tag loswerden wie die Frauen. Alle Prüfungen finden mündlich und vor vielen anderen wartenden Prüflingen statt.
Hier ist man in einer ästhetischen Kultur, in der „schön“ noch wichtiger ist als „praktisch.“ Der Ministerpräsident verschwendet seine Zeit nicht mit guter Politik, sondern ässt sich lieber Falten weglasern, Haare implantieren und schätzt auch an seinen Kollegen im Ausland, wenn sie jung, hübsch und gebräunt sind.“ Italien ist zwar mit 106% des BSP’s verschuldet, aber davon lässt man sich doch nicht die Laune verderben!
Die Vorlesungen sind noch mit Studenten gefüllt, die aufmerksam einer Professorin oder einem Professor zuhören, der statt Power Point eine akademische Viertelstunde zur besseren Vermittlung der Lehrinhalte benutzt. In der Uni kann man sich fühlen wie wahlweise ein Schüler Galileis oder auf einer archäologischen Ausgrabungsstätte, wenn sich auf dem Weg zur philosophischen Fakultät das uralte, von einer Glaskuppel gestützte, Fundament auftut. Die Dozenten finden es ebenso blöd, ihre Vorlesungen um 8:30 Uhr anfangen zu lassen wie die Studenten. Von meinem Lieblingsdozenten, der ein geniales Seminar über Tiersprachen hält und schon überall auf der Welt unterrichtet hat, kann man echt nicht sagen, ob er eine Frau oder ein Mann ist. Seine Seminare sind immer überfüllt und er hat eine rebellische Webseite, auf der ein Hase in amerikanischer Gründervaterkluft einen Raketenwerfer mit der Worten anfeuert „If you don’t come to democracy, democracy will come to you!“Apropos Amerika: Ich musste zwar am Flughafen keine Fingerabdrücke lassen dafür kennt hier jeder meine Personalausweisnummer. Klar braucht man die zur Immatrikulation. Aber für eine Erasmus-Student-Network-Karte, mit der man in Bars Rabatte auf Drinks bekommt? Ich weiß nicht. Da neben der heiligen Jungfrau aber eh auch Facebook, „il grande fratello,“ über mich wacht, ist das doch auch egal. Alle Männer, die ich bisher kennen gelernt habe, fühlen sich hier übrigens auch sehr wohl. Vielleicht wegen des gigantischen Fußballstadions von InterMailand. Vielleicht aber auch, weil sich die Frauen hier so wohl fühlen.

Fabienne Erbacher