Die Zukunft Europas Teil II – Konstantin Kuhle im Gespräch

Wie sieht die Zukunft der Europäischen Union aus? Wird sie ihren Herausforderungen gewachsen sein? Ein kurzes Interview mit dem Bundestagsabgeordneten Konstantin Kuhle.   

Im Rahmen der Veranstaltung „Next Generation Europe“ hat die Friedrich-Neumann-Stiftung und die liberale Hochschulgruppe den FDP-Bundestagsabgeordneten und Mitglied des Europaausschusses Konstantin Kuhle zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Außerdem zu Gast waren der Schweizer Stefan Schlegel und die Spitzenkandidatin der neu gegründeten Europapartei „Volt“, Marie-Isabelle Heiss. Auf dem Weg zur Leuphana konnten wir den innenpolitischen Sprecher der FDP für ein paar Fragen abfangen.

V. l. n. r.: Moderator, Konstantin Kuhle, Stefan Schlegel, Marie-Isabelle Heiss

 

Was sind in Deinen Augen die größten Herausforderungen für die EU in den kommenden 20 Jahren?

Das letzte Mal, als die Europäische Union eine Überarbeitung Ihrer Verträge angegangen ist, war 2007, beim Vertrag von Lissabon. Das war vor der Migrationskrise und vor der Eurokrise. Das heißt, zwei ganze entscheidende Herausforderungen für die Europäische Union sind erstens: Wie kriegen wir die Migration nach Europa so geregelt, dass es mit unseren Erfordernissen des Arbeitsmarktes zusammenpasst und dass diese Menschen nicht auf dem Mittelmeer ertrinken müssen. Und zweitens: Wie können wir die Wettbewerbsfähigkeit Europas so sicherstellen, dass wir nicht eine zweite Eurokrise erleben und wie lässt sich das Geschäftsmodell „Europa“ stärken.

Wie sieht es mit dem Klimawandel aus? Und dem Umgang mit der Digitalisierung?

Der Klimawandel ist das Musterbeispiel für eine Herausforderung, die nur europäisch oder weltweit gelöst werden kann. Es ist überhaupt nichts davon zu halten, wenn die Bekämpfung des Klimawandels ausschließlich auf nationaler Ebene erfolgt und alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union oder Länder in Europa einen eigenen Weg gehen und sich nicht abstimmen. Das mag in manchen Politikbereichen sinnvoll sein – bei der Bekämpfung des Klimawandels und beim Umweltschutz und beim Naturschutz ist es das nicht. Deswegen brauchen wir beispielsweise ein einheitliches europäisches System zum Handeln mit Verschmutzungszertifikaten, damit es sich lohnt, die Umwelt zu schützen. Damit diejenigen, die die Umwelt verschmutzen wollen, einen wirtschaftlichen Preis dafür bezahlen müssen. Der kann am Ende dafür sorgen, dass Umweltschutz sich lohnt.

Und zum Thema Digitalisierung: Auch da ergeben sich viele Potenziale durch Kooperationen in Europa. Ich finde es zum Beispiel richtig, dass der französische Staatspräsident Macron vorgeschlagen hat, eine deutsch-französische Initiative zum Thema künstliche Intelligenz zu gründen. Die Herausforderung wird sein, in Bereich von Digitalunternehmen und von datengetriebenen Geschäftsmodellen, europäische Champions zu entwickeln, die es auch mit amerikanischen Unternehmen aufnehmen können.

2009 als auch 2014 war die Wahlbeteiligung in der EU bei knapp 43 Prozent. Glaubst Du, dass sich diese in diesem Jahr erhöht und was müsste geschehen, um der Politikverdrossenheit hinsichtlich der EU entgegenzuwirken?

Ich glaube, dass viele Bürgerinnen und Bürger nicht an der Europawahl teilnehmen, weil sie keinen realen Unterscheid nach der Europawahl in der Politik feststellen können. Es sei ja egal ob man an der Europawahl teilnehme oder nicht. Am Ende würde der Kommissionspräsident sowieso von den Staats- und Regierungschefs ausgekungelt werden.

Ich glaube aber, dass das Ergebnis der Europawahl einen Unterschied machen muss bei der Festlegung, wer am Ende Kommissionpräsident wird.  Deswegen ist es wichtig, dass es im Europäischen Parlament auch mal eine Gestaltungsmehrheit gibt. Es gibt im Europäischen Parlament seit Jahrzehnten eine große Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten. Jetzt gibt es bei dieser Europawahl eine Dynamik, angestoßen durch Macron in Frankreich, auch mal etwas anderes auszuprobieren. Ich glaube, dass könnte einen Beitrag dazu leisten, dass die Wahlbeteiligung sich erhöht.  Ich glaube zum Beispiel auch, dass wir die Sichtbarkeit von Europapolitik in der nationalen Politik erhöhen müssen. Ich fände es gut, wenn EU-Kommissare sich nicht nur im Europäischen Parlament rechtfertigen müssten, sondern ein EU-Kommissar auch mal im Bundestag oder im französischen Parlament Rede und Antwort stehen müsste.

Im Europaparlament gibt es mehrere Fraktionen. Die FDP ist Teil der ALDE Fraktion. Was sind die entscheidenden Aspekte für die ALDE einsteht und die sie von anderen Fraktionen unterscheidet? 

Für uns Liberale ist ganz entscheidend, dass wir davon ausgehen, dass erstmal der Mensch ein verantwortungsbewusstes, kreatives Wesen ist, das das Vertrauen der Politik verdient hat. Genauso wie das für den Menschen gilt, gilt das auch für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Wir brauchen in ganz entscheidenden Fragen europäische Lösungen: Migration, Bekämpfung des Klimawandels oder Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Wie man das erreicht, beispielsweise die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, muss aber auch Gegenstand von Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten sein. Es soll ein einfacher und schnellerer Austausch zwischen den Mitgliedsstaaten etwa in Bereichen der Bildung, Forschung oder Innovation ermöglicht werden. Daraus kann sich dann das Beste herausbilden. Diese Vorschläge finden sich in den ALDE-Strukturreformen im Bereich der Bildung und im Bereich der Wirtschaft wieder. Damit kann dann am Ende die Europäische Union in ihrer Vielfalt stärker werden. Es muss nicht immer alles gleich gebürstet sein.

Ich kann mich nicht in Berlin oder in Hannover hinstellen und sagen, die EU ist schuld und dann eine Woche später nach Brüssel fahren und dafür selbst die Hand heben!

Die FDP setzt viel auf Freiheit und Eigenverantwortung. Viele Bürger*innen nehmen die EU als kleinkariert und vorschreibend wahr, die immer mehr einschränkt. Würdest Du diesem Bild zustimmen und wenn nicht, wie ließe sich dieses Bild richtigstellen?

Nein, ich würde dem nicht zustimmen und ich finde, dass sich nationale Politiker ehrlich machen müssen. Die sitzen in Brüssel und in Straßburg mit am Tisch und entscheiden über dieselben Regeln, die am Ende als zu bürokratisch wahrgenommen werden. Ich kann mich nicht in Berlin oder in Hannover hinstellen und sagen, die EU ist schuld und dann eine Woche später nach Brüssel fahren und dafür selbst die Hand heben! Deswegen sollten gerade junge Menschen vor und auch während der Europawahl darauf achten,  ob die Politiker, die ihnen gegenübersitzen, ihre eigene Verantwortung wahrnehmen und nicht nur langweiliges Brüssel-Bashing betreiben. Wir müssen eine gewisse Entspanntheit gegenüber den Institutionen der Europäischen Union entwickeln. Es kommt darauf an, wer da das Sagen hat. Deswegen kann man auch mit einer liberalen Stimme im Europäischen Parlament dazu beitragen, dass beispielsweise Belastungen, die als zu bürokratisch wahrgenommen werden, zurückgenommen werden. Und ganz oft ist ja gar nicht die EU Schuld, sondern der Umsetzungsgesetzgeber. Beispielsweise die Datenschutzgrundverordnung: Die wird von vielen Unternehmen, Vereinen und Ehrenämtlern als super ärgerlich und bürokratisch wahrgenommen, lässt aber in ihrem Ausgangspunkt einen offenen Spielraum für den nationalen Gesetzgeber. Der deutsche Gesetzgeber hat es aber so umgesetzt, wie es jetzt ist. Das heißt, schuld ist Berlin – und nicht Brüssel.

Also in anderen Worten: Eine größere Transparenz, welche Gesetze von der EU angestoßen werden und welche aus nationalen Reihen kommen?

Ganz genau, aber auch eine Transparenz hinsichtlich des Zusammenwirkens der Institutionen. Der Europäische Gesetzgeber besteht aus zwei Beschlussorganen und einem Organ, das quasi das Initiativrecht hat. Das Initiativrecht hat die Kommission und das zweigeteilte Beschlussorgan besteht aus dem Parlament und aus dem Rat. Und in dem Rat sitzen einfach original dieselben Person wie in den nationalen Regierungen. Das heißt, es ist gar nicht so klar voneinander getrennt. Sondern ein deutscher Politiker, der eine bestimmt Gesetzesinitiative nicht auf nationaler Ebene durchbekommt, der spielt das dann oft über Brüssel. Das ist politisch klug und taktisch raffiniert, aber es trägt nicht dazu bei, dass die Bürger das Vertrauen in die Politik der Europäischen Union wiedergewinnen.


Zu einem kleinen Interview erklärte sich auch Marie-Isabelle Heiss bereit. Ganz ähnliche Fragen wurden nicht ganz so ähnlich beantwortet.

(Bildunterschrift: „Konstantin Kuhle – James Zabel, Creative Commons“)