Brennender Asphalt

Odyssee mit Suppe zum Castor-Transport. Nachts ist es im Wendland besonders finster. In winzigen Ortschaften haucht nur ein schmaler Lichtkegel seinen Strahl auf einspurige Teerstraßen. Wir halten an einem vergessenen Gehöft an. Mein Begleiter wirft seine Autotür auf. Sie wissen, dass wir hier sind. Novemberregen trieft von einem Windspiel. Grünlich treten zwei Augen vor uns. Doch die Katze trollt sich nur scheu ins Gebälk der Scheune. Dann knarrt die wurmstichige Holztür. Warmes Licht vom Schein eines Kamins fällt ins Freie. „Wir haben schon auf euch gewartet!“ Die rundliche Frau bittet uns rein. Im Raum scharen sich ihre Freundinnen um Berge von Kartoffeln, Möhren und Sellerie. Sie schälen jedes Stück und werfen es in riesige Bottiche. Schalen türmen sich auf dem Tisch. Sie fallen über seine Ränder. Rotwein kreist. „Hört mal zu, Mädels! Der Castor hat die Blockade an der Grenze zu Frankreich passiert und rollt ungebremst zu uns ins Wendland. Wahrscheinlich kommt er morgen hier an. Dann muss unsere Suppe im Wald stehen.“

„Wo zum Teufel hast du all dieses Gemüse her?“, fragt mein Partner sprachlos. „Wendländer sind Freunde“, zwinkert die Volxköchin. Sie ist Sozialpädagogin aus Lüneburg. Ich weiß es ganz genau! Wir schneiden Knollengemüse. Hände verfärben sich durch Unmengen von Möhren. Die Nacht wird tiefer. Schließlich flackert nur noch der Schein des Kamins. Verschworen halten wir unsere Handys hoch. Wir werden die Verbindung halten. „Wo die Wege weit sind“, flüstert die Volxköchin, „sind sich die Menschen näher. Ich werde euch rufen.“

Unter meinem alten Auto verschwinden die Straßen. Leuchtendes Laub segelt über die Windschutzscheibe. Wir irren umher. Einsatzwagen passieren. Bundesgrenzschutz und Polizei rotieren, auf der Suche nach Arbeit. Seit 30 Jahren fahren Castortransporte mit Atommüll nach Gorleben. 30 Jahre erhebt sich der Protest und wird leiser. So kehren die heißen November wieder. Regen fällt. Der Tag fliegt an uns vorüber. Die Straßen werden schon von der Grünschwärze der Wälder verschlungen. Dann klingelt das Handy. „Tollendorf.“ Mein Begleiter sucht eine namenlose Ortschaft, die nicht auf der Straßenkarte steht. Ich taste mich vor. Plötzlich schlagen mir Flammen entgegen. Kraftfahrzeuge bremsen scharf und wenden. Fahrer erschrecken. Die Feuerbrunst lodert auf dem Asphalt. Brennende Reifen und große Äste versperren den Weg nach Lüneburg. Am Feuer verdunstet die Nasskälte. Glühende Scheite wärmen das Zittern aus unserer Haut. Die Menge wiegt sich leicht. Ein karibischer Rhythmus schwebt über dem Chaos. Alle bürokratischen Regeln und Gesetze verpuffen. „Komm jetzt!“, ruft mein Partner. „Die Wasserwerfer sind schon auf dem Weg!“

Wir schaukeln zu einem abgeernteten Stück Land. In goldenen Wärmefolien rollen sich Lüneburger Studierende über die Ackerschollen. Auf der Feldbühne pulsieren mutige Lieder. Wildentschlossene mit Zipfelmützen wollen sich auf die Bahngleise setzen. Sie möchten das erste Mal in der langen Geschichte der Atommülltransporte verhindern, dass ein Castorzug zum Zwischenlager in Gorleben gelangt.

Die Nasskälte der Wälder greift nach uns. Da allerdings brodelt nun unsere Feldküche. „Is this a vegan soup?“ Die Fremde möchte es ganz genau wissen. „Ist this a vegan soup?“, rufe ich in die Waldküchencombo. „We have Kartoffeln, Möhren and water here. I think it is“, antwortet mein Begleiter. Verunsichert nickt die Fremde. Irgendwie hat sie nur die Hälfte verstanden. Aber sie scheint das Zeug essen zu können. Dann machen auch wir uns darüber her.

Von Heike Hoja
(Die Autorin war Volxküchenmitarbeiterin beim Castor ’08)