Bekenntnis einer sozialmedialen Amöbe

Unsere Autorin ist technisch nicht ganz auf der Höhe – und glücklich darüber.
Wie ein Leben ohne Jodel, Instagram und Tinder aussieht und warum Technik gleichzeitig Fluch und Segen sein kann.

Hört lieber zu als aufs Display zu schauen: Auch auf Festivals und Konzerten fühlt sich unsere Autorin ohne Smartphone-Skills wohl / (c) pixabay.com
Hört lieber zu als aufs Display zu schauen: Auch auf Festivals und Konzerten fühlt sich unsere Autorin ohne Smartphone-Skills wohl / (c) pixabay.com

Es gab mal Zeiten in meinem Leben, da war ich die Erste mit einem Musik-Handy in meiner Clique. Später war ich dann sogar die Erste im Freundeskreis mit einem Mobiltelefon samt einer magischen Steuerung, die sich Touchscreen nannte. Das erste Mal habe ich etwa mit 14 mit meinen Finger über das Display gewischt.
Heute gehöre ich nicht mehr zu den Pionieren, es geht steil bergab mit mir, ich fühle mich – wenn ich mich umschaue – irgendwie aus der Zeit gefallen. Alle Welt, und besonders Leuphanien, jodelt, instagramt und twittert. Und ich sitze an meinem ersten eigenen Laptop nach acht Jahren Tower-PC und bin froh Windows 10 zu haben, weil es wieder wie Windows 7 ist. Windows 8, seine komische Bedienung und ich sind einfach keine Freunde geworden. Wahrscheinlich weil die Handhabung zu sehr wie ein Smartphone war.

Seit dem Tod meines Musik-Handys geht es bergab

Wenn ich die Vergangenheit noch einmal genau konstruiere, beginnt der mediale Zerfall meines Geistes an einem Abend im April. Damals habe ich auf dem 16. Geburtstag einer Freundin das Wasser eines Standswimmingpools ausprobiert, samt meines Handys. Insgesamt eine dumme Idee; das Wasser war kalt und mein Nokia XPress Music hat es mir nicht verziehen – es ist nie wieder unter die Lebenden zurückgekehrt. Mein sozialmediales Koma hat dagegen erst richtig an Fahrt gewonnen.
Damals hatten die Handys meiner zwei älteren Geschwister unter ähnlichen Vorfällen gelitten. Unsere Mutter war es nach einigen Monaten leid, dass keines ihrer drei Kinder je zu erreichen war und so investierte sie 60 Euro – für alle drei Handys zusammen – und schenkte jedem ein Samsung Mobiltelefon. In der Zeit, in der Apple bereits die dritte iPhone Generation auf den Markt gebracht hatte, waren die Funktionen meines neuen Klapphandys, milde gesagt, rudimentär. Aber es erfüllte den gewünschten Zweck.
In der 9. Klasse hatten sich dann, ohne, dass ich es merkte, die meisten schönen Schiebe-Foto-Handys in Smartphones transformiert. Meine Clique, mein Klapphandy und ich standen bald alleine da, während die Gamer-Jungs auf ihren Smartphones den freizügigen Mädchen mobile Hotspots einrichteten, um ihnen zu imponieren.
Mit 19 kaufte sich mein Bruder ein super spektakuläres HTC One Mini und trat, wie schon bei allen technischen Sachen zuvor, sein Samsung Galaxy Ace gegen einen, mehr oder weniger fairen Familienpreis an mich ab.
Mit 18 – gefühlt Jahrzehnte zu spät – waren Facebook-Chats und SMS Vergangenheit und ich schlug mich mit Whats App und einer bescheuerten Samsung Autorkorrektur herum. Im Endeffekt lernten meine Freundinnen die kryptischen Nachrichten wie „Ich Feuerwehr Silvester zu Hausaufgaben“ aber doch zu entschlüsseln und zu schätzen.

Während meines letzten Jahres in der Schule war ich der personifizierte Geschichts-Joker während unzähliger Quiz-Duelle. Ich selber spielte nie: aus Angst vor dem Suchpotential und, weil mein Speicherplatz mit den Messengerdiensten schon mehr als genug ausgereizt war. Außerdem war ich die einzige Person – und bin es bis heute – die, abgesehen von Drogendealern und organisierten Verbrechern, der Callya-Prepaid Karte treu bleibt.

Zum Abi bekam ich ein Smartphone, das meine Mutter schon lange benutzte

Rückblickend ist dann da noch dieser Schlüsselmoment nach meinen bestandenen Abi-Prüfungen im Sommer 2014, als meine Mutter mir für mein Abi und die anstehenden Monate im Südamerika ein Samsung Galaxy S3 Mini schenkte. „Damit wir auch wirklich gut kommunizieren können. Das brauche ich, damit Papa und ich nachts ruhig schlafen können“, sagte sie. Somit hatte mir meine Mutter das gleiche Modell geschenkt, das sie selbst schon seit einem Jahr sicher zu bedienen wusste. Meine Mutter war also ein perfekter Digital Citizen und ich eine sozialmediale Amöbe.

Nun hatte ich also ein Smartphone, das mir die Tür zur Welt öffnete und mir in meinen Monaten in Kolumbien einen guten Dienst erwies. Vor einem Jahr gab ich mich der Illusion hin, dass ich nun technisch gesehen mit allen anderen auf einer Höhe sei. Die Fassade hielt solange, bis ich nach Hause und an die Leuphana kam. Mittlerweile hatten selbst meine Eltern ein Tablet und mein 90-jähriger Opa las seine historischen Romane auf einem Kindl.

Leuphanien brachte mich endgültig auf den Boden der Tatsachen

Die Leuphana-Orientierungswoche gab mir schließlich den Rest: Umgeben von Macs in allen Formen, Größen, Generationen und Farben, die selbst von Musik-Professoren in der Vorlesung mit Bravur bedient wurden, war ich also wieder aus der Zeit gefallen.

Als technische Amöbe fühle ich mich wohl

Fühle ich mich deshalb ausgeschlossen, unter Druck gesetzt oder wie ein Aussätziger?
Wenn ich in der Univativ-Redaktionssitzung sitze und nicht weiß, dass eine Fotostrecke mit witzigen Bildzeilen zu einem bestimmten Thema ein ‚Listicle‘ ist? Wenn ich mir wie ein gespanntes Kind Tinder bei einer Freundin im Real Life anschaue, weil ich es nur aus Artikeln der Süddeutschen Zeitung kenne? Und wenn ich die verdammte Frage, ob Instagram-Bilder eigentlich immer nur quadratisch hochgeladen werden können, nicht beantworten kann.

Nein, fühle ich mich nicht. Ich fühle mich entschleunigt und entspannter. Auch wenn ich manchmal befürchte etwas zu verpassen. Ich kann niemandem verübeln, dass man die Technik nutzt, ich bin genauso davon überzeugt, dass die meisten Geräte und Apps entweder witzig oder nützlich sind. Mir persönlich macht es aber Spaß in Hannover die Abfahrtszeiten für meinen Anschlusszug noch auf einem Plan nachzugucken. Und nicht gleich die Orientierung zu verlieren, wenn ich kein Google Maps in einer fremden Stadt benutzen kann. Oder nicht das Gefühl haben zu müssen, ständig erreichbar zu sein. Ich für meinen Teil verbringe schon genügend Zeit vor kalten Bildschirmen, ob für die Uni oder beim Prokrastinieren. Und es bringt mich der Gedanke zum Lachen, die einzige Person im Jahr 2016 zu sein, die mit viel Enthusiasmus und trotzdem erfolglos Fruit Ninja spielt und Obst mit einer Regenbogenklinge zerschneidet.

Autorin: Antonia Wegener