Armenien

Kulinarische Impressionen aus einem fast unbekannten Land. Die Hände meiner Großmutter. Sie sind beim Gedanken an armenisches Essen das Erste, was ich vor meinem geistigen Auge sehe. Sie ist über 80 Jahre alt, kann kaum noch sehen. Für mich ist sie die beste Köchin der Welt.

Armenien ist kein typisches Reiseziel. Ein Land, über das hierzulande nur wenige Menschen wirklich Bescheid wissen. Geografisch einordnen? „Irgendwo im Kaukasus“ ist schon mal nicht verkehrt. Dabei gibt es viel Überraschendes zu erfahren: Im Jahre 301 erhob Armenien als erstes Land das Christentum zur Staatsreligion und ist somit der älteste christliche Staat der Welt. Die armenische Sprache ist ein eigener Zweig der indogermanischen Sprachen und daher mit der deutschen Sprache näher verwandt, als es sich zunächst anhört. Eines der persönlichsten Worte, das „du“, ist in beiden Sprachen identisch.

Eine große Rolle spielt das Essen in der Kultur. Essen bedeutet Familie, Heimkommen, Geborgenheit. Und so legen armenische Mütter und Großmütter viel Wert darauf, dass ihre Liebsten satt und zufrieden sind. Wenn auch manchmal mit sanfter Gewalt und Nachdruck. Ich höre die Stimme meiner Großmutter, die am Tisch gar nicht oft genug „Iss, Kind!“ sagen kann. Man stelle sich eine typisch italienische „Nonna“ vor. Oder eine der weiblichen Familienmitglieder aus „My big fat greek wedding“. So ist meine Großmutter. Wer in ihr Haus einkehrt, ob Familienmitglied, Freund oder Fremder, ist Gast und wird bekocht. Ohne Widerrede. Mit viel Fett und noch mehr Liebe. Für einen ofenwarmen Hefekuchen mit Nussfüllung für die frisch eingeflogenen Gäste steht sie auch mal mitten in der Nacht auf. Reist man nach Armenien, sollte man also möglichst „persönlich“ unterkommen. Eine Gastfamilie oder auch eine kleine, intime Pension reichen schon, um die typisch armenische Küche kennenzulernen.

Armenisches Essen ist vor allem eins: frisch. Saisonales Obst und Gemüse sind der Grundpfeiler der Ernährung. Die sehr warmen Sommer etwa tragen zu einem intensiven Geschmack vieler Früchte bei. Wer einmal eine armenische Tomate gegessen hat, wird das seifige, steinharte Etwas, das hier als Tomate verkauft wird, wohl nicht mehr mögen. Die Lebensmittelmärkte in der Hauptstadt Eriwan sind die überfülltesten und lebendigsten Orte der Stadt. Unter freiem Himmel und in Markthallen stapeln sich die glänzendsten Auberginen, leuchtendsten Granatäpfel und süßesten Aprikosen. Händler schreien ihre Angebote in die Menge, während armenische Großmütter mit Einkaufsnetzen bewaffnet skeptisch jede Birne mustern und immer den besten Preis aushandeln.

Fleisch ist zwar auch ein wichtiges Lebensmittel in der armenischen Küche, wird jedoch aufgrund seines Preises weitaus seltener gegessen als etwa hier in Deutschland. Fleischgerichte kommen durchschnittlich einmal die Woche auf den Tisch, bei gut situierten Familien auch öfter, und natürlich zu besonderen Anlässen. Lamm und Schwein werden ebenso gern zubereitet wie Rind und Hühnchen. Aber Vorsicht: Huhn wird von armenischen Matriarchen nicht als „echtes“ Fleisch bezeichnet. Wer sich dort zum Vegetarismus bekennt, bekommt nicht selten eine knusprige Hähnchenkeule aus dem Ofen aufgetischt. Mit gerösteten Kartoffelhälften und einem knackigen Salat aus Gurken, Tomaten, Zwiebeln und rotem Basilikum.

Die Krönung kommt jedoch mit dem Dessert: Armenier lieben süße Backwaren. Und wieder sehe ich die Hände meiner Großmutter, wie sie „Napoleons“, luftige Blätterteigtörtchen, mit Buttercreme bestreichen und mit Streuseln versehen. Denn meine Großmutter ist auch die beste Konditorin der Welt.

Von Anna Aridzanjan