100-Million-Dollar Baby

Die Leuphana kommt groß raus: Der „Innovations-Inkubator,“ ein gemeinsames Entwicklungsprojekt des niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur und der Leuphana, erhält 64 Mio.   Fördergeld von der EU. Da dieser sich mit maximal ¾ der Gesamtkosten an solchen Projekten beteiligen kann, hat das Land Niedersachsen 22 Mio.   Euro zur Verfügung gestellt, die Uni nochmal 12,5 Mio „zu erwirtschaftende Mittel.“ Die Uni steuert also den Betrag in „Naturalien“ bei. Berechnet wird, was die zur Verfügung gestellte Infrastruktur und das Personal etc. kosten würden und rechnet das in einen Geldbetrag um.

 

Der Förderbetrag der EU ist der höchste, den jemals eine Hochschule für die Regionalentwicklung bekommen hat. Diese glanzvolle Information von der Leuphana-Webseite wird ein wenig relativiert, wenn man bedenkt, dass wir gleichzeitig wir die einzige Hochschule sind, die jemals überhaupt Geld aus einem Fond für Regionalentwicklung bekommen hat. Sascha Spoun sieht darin eine Konsequenz der Neuausrichtung der Leuphana Universität und des Engagements aller Universitätsmitglieder.

In der Tat werden nun wahrscheinlich mehr Stimmen, die bisher dem ganzen Neuausrichtungsprozess gegenüber standen, zum Schweigen gebracht. Klar, der Campus der Zukunft von Daniel Libeskind, der zum Projekt gehört, ist ein wenig extravagant, aber wenn es ein öffentlicher Träger zahlt, der hinterher keine Ansprüche an die Nutzung stellt, warum nicht? Das schöne Gebäude wird noch leuchten und sich selbst mit Energie versorgen, wenn die letzten Kritiker längst nicht mehr an der Uni sind.

So direkt kann man die Bonhomie der EU Kommission allerdings nicht auf eine besonders gute Hochschulpolitk zurück führen. Das Geld kommt aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Dieser Fond ist Teil des EU-Strukturfonds der Periode 2007-2013 über insgesamt 1 Mrd.   für die Region Lüneburg. Diese ist als „Ziel 1-“ oder auch „Konvergenzfördergebiet“ eingestuft. Das heißt, hier erhalten die Einwohner sehr viel mehr Gelder als die der übrigen Regionen der EU. Dies liegt daran, dass die Wirtschaftsleitstung pro Kopf unter 75% des Durchschnitts der „alten“ – aus 15 Ländern bestehenden – EU liegt. Das Gebiet soll wirtschaftlich konvergieren, sich also an die Leistung der anderen Gebiete annähern und wird deshalb besonders gefördert.

Es ist das einzige in Westdeutschland, sonst sind nur einige neue Bundesländer so schwach. Aber geht es uns hier wirklich so schlecht? Davon merkt man doch eigentlich gar nichts!

Die dramatische Wirtschaftslage ist zum Teil der Berechnungsmethode verschuldet. Bei der Berechnung der Wirtschaftsleistung pro Kopf wird der Arbeitsort zu Grunde gelegt und nicht der Wohnort. Da sehr viele Leute, die in der Region wohnen, in Hamburg arbeiten gehen, ist das verfügbare Einkommen wesentlich höher als die Einstufung nahe legt.

 

Die Förderung des Projekts war schon am Anfang der Förderperiode, 2007, im EFRE eingeplant. Man fragt sich, warum die Gelder für die Leuphana erst jetzt endgültig bewilligt wurden. In einer Broschüre des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom Juli 2007 stand schon „die Universität Lüneburg entwickelt den Innovations-Inkubator Lüneburg weiter.“ Man kann sich schon vorstellen, dass es lange dauert, 16 Teilmaßnahmen mit international besetzten und transdisziplinär ausgerichteten „Kompetenztandems“ zu planen und die Fördergelder bewilligen zu lassen, zumal die Transparenz der Förderpraxis der EU sehr zu wünschen übrig lässt. Dies ist allerdings ein allgemeines Problem. Nun bleibt die Frage, ob das höchst komplexe und ambitionierte Projekt in der Zeit, die noch bleibt, überhaupt zu bewerkstelligen ist. 120, zum Teil internationale, Wissenschaftler sollen rekrutiert werden, sich hier orientieren und angesichts der Rekordförderhöhe überdimensionale Erwartungen erfüllen, was den Nutzen für die regionale Wirtschaft angeht. Weitere Teilmaßnahmen sind Existenzgründungsprojekte, Transfer- und Innovationsassistenten und Aufbau von Management- und Beratungskapazitäten. Deutlich wird, es geht viel um Beratung und Wissenstransfer. Damit wird auch lautstark geworben. Dadurch, dass die EU mitsamt kompetenter und engagierter Beratungsstellen zur Förderung schon 2007 angefangen hat, solcherlei Projekte zu fördern, können sich allerdings hier angesiedelte Firmen in letzter Zeit vor lauter kostenlosen Weiterbildungsangeboten und Beratungen kaum mehr retten. Die UNIVATIV zog im Juni 2009 mit der Redaktion in das aufgelöste Büro von UNICON, der ehemaligen studentischen Unternehmensberatung der Leuphana, um. Auf jeden Fall muss die Leuphana in ihrem Spezialgebiet „Nachhaltigkeit“ jetzt alles geben, was sie hat. Rein finanzierungstechnisch ist der Inkubator nämlich ein Strohfeuer. Wenn die Bedarfe ab 2014 neu berechnet werden, kann von Rekordsummen für die Region Lüneburg nur noch geträumt werden. Mit den 12 neuen EU-Ländern wird das BIP nämlich durchschnittlich viel niedriger. Ab dann müssen die neu gegründeten Firmen allein auf den Beinen stehen und Maßnahmen sich von selbst finanzieren, denn eine Anschlussfinanzierung seitens der EU wird es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht geben.

 

Die Leuphana tut derweil, was in ihrer Macht steht und lockt mit Drittmitteln internationale Spitzenforscher nach Lüneburg. „Bedeutende Forscherinnen und Forscher arbeiten künftig mit der lokalen Wirtschaft zusammen“, „Ein Meilenstein auf dem Weg zur führenden Einrichtung für anwendungsorientierte Wissenschaft und Etablierung internationaler Spitzenforschung“ sind die mots du jour.

Man weiß allerdings nicht, ob die vermehrten Einnahmen aus Drittmitteln nur positiv zu werten sind. Allgemein verzerren sie den hochgelobten „Wettbewerb“ zwischen Hochschulen um den „Kunden“ Student zugunsten großer Hochschulen in oder nahe attraktiven Städten und Ballungsräumen. 100 Millionen sind super, aber wollen wir durch einen Innovations-Inkubator „im Wettbewerb mit anderen Hochschulen um Studierende und Wissenschaftler besser aufstellen“? Täte dies, zumindest was die Studenten anbelangt, nicht auch ein Standortvorteil durch weniger Gebühren? Überhaupt ist bei den Parolen dieser Tage verdächtig häufig von Spitzenforschung und gar nicht von Spitzenlehre die Rede.

 

Wenn man die Inkubator-Webseite danach befragt, was bei 120 Wissenschaftlern für Seminare und Vorlesungen für die Studenten heraus springen, bieten sich dafür genau 2 der 16 Teilmaßnahmen des Inkubators an. Im „Leuphana College“ sollen die „die im Rahmen des Komplementärstudiums vorgesehene Gastprofessur sowie die weiteren im Rahmen der Teilmaßnahme Leuphana College vorgesehenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“ folgende Maßnahmen „initiieren und begleiten“:

  1. „Leuphana Tandems“: kleine Forschungs- und Praxisprojekte in Kooperation mit Studierenden verschiedener Fachsemester und mittelständischen lokalen Unternehmen im Rahmen des Komplementärstudiums
  2. „Klub der Partnerorganisationen“: Die direkte Verbindung von Lehre und Praxis, mit dem gemeinsame praxisorientierte Lehrangebote und Lehrforschungsprojekte entwickelt werden können

Also keine Seminare, sondern Klubs und Tandems. Und in der „Graduate School?“

„Die Gastprofessuren sind (damit) nicht in der Lehre tätig, stoßen aber (…) zusätzliche und für die Zielregion relevante Studienformate in der Graduate School an. Sie haben zum Anderen „die Funktion, mit ihrer externen wissenschaftlichen Kompetenz dabei behilflich zu sein, jene Masterstudierende und Doktoranden an der Leuphana zu identifizieren, die im internationalen Maßstab als High Potentials gelten.“

Ist das nicht einfach nur eine andere Bezeichnung von „Klub“?

„Im  weiteren Verlauf des Ausbaus der Graduate School werden durch diese Teilmaßnahme mittelstandsorientierte Forschungsgastprofessuren gefördert, die wirtschaftsrelevante Fragen für die Region bearbeiten werden.“

Merke: Forschungsprofessuren ungleich Lehrprofessuren

„Insgesamt soll der Einsatz von Gastprofessuren in der Graduate School zu einer zusätzlichen Ausrichtung des Master- und Doktorandenangebots auf die Bedürfnisse der regionalen Wirtschaft führen.“

Aber war es nicht mal irgendwann die Idee einer Hochschule, ein Studium nicht auf das „Employability“-Potential und Verwertbarkeit zu reduzieren? Sind Wissensinput-Credits so direkt in Wirtschaftsboom-Punkte umrechenbar? Ist die Uni bereit, im „Ausbildungsverhältnis“ (ehemals Studium genannt), Persönlichkeitsbildung und kritisches, fragendes Denken gegen Drittmittel und Anwendungsorientierung zu tauschen?

Letzten Endes ist das Schwierige gar nicht dieses Projekt, sondern die sich langsam einschleichende Schere im Geist der Universität, für die es steht.

 

Fabienne Erbacher