Wenn die Leuphana Besuch von der AfD bekommt

Marcus Pretzell von der AfD – © picture alliance / dpa
Marcus Pretzell von der AfD – © picture alliance / dpa

Dieser Tage macht eine besondere Veranstaltung in Leuphana-Kreisen die Runde: Markus Pretzell kommt nach Lüneburg. Und dafür hat sich der AfD-Mann keinen anderen Ort ausgesucht als die Leuphana, genauer gesagt: Hörsaal 3. So ist es nicht verwunderlich, dass besonderes Lüneburger Studierende wenig begeistert sind. Viele fragen sich, weshalb es gerade die Leuphana sein muss, wer das eigentlich erlaubt hat und ob sich dagegen nicht etwas machen lässt. Univativ hat sich das mal angeschaut.

Die Veranstaltung

„Am Freitag, den 04. Dezember um 19:00 Uhr in der Leuphana Universität Lüneburg / Hörsaal 3, Scharnhorststraße 1, 21335 Lüneburg begrüßen wir ganz herzlich Marcus Pretzell MdEP.“ heißt es in dem kurzen Veranstaltungsteaser. Das Thema ist: „Quo Vadis europäische Bürgerrechte ?“ – Zusätzliche Erläuterungen gibt es nicht. Irgendwie wirkt es, als wolle man so unauffällig wie möglich bleiben.

Nun ja, falls dies wirklich die Intention der AfD war – Pech gehabt. Hat wohl nicht geklappt.

Ausschnitt des Veranstaltungsflyers
Ausschnitt des Veranstaltungsflyers

Schon wenige Stunden nach Veröffentlichung des Veranstaltungs-Termins auf Facebook zieht in der Veranstaltung ein Shitstorm auf. Die meisten Beiträge empören sich über den Redner, einige Wenige, darunter eine Frau mit einem Pferd auf ihrem Profilbild, geben Kontra zu Anti-AfD-Posts. Schnell ändert sich der Diskussion-Charakter von „Was wollen die in Lüneburg?“ und „Was fällt denen ein, an die Leuphana zu kommen?“ in politische Grundsatzdiskussionen. Die Pferde-Profilbild-Frau schreibt etwas von einem geordnetem Polizeistaat, Amtsenthebung der derzeitigen Regierung und Meinungsfreiheit, andere rufen zum Aktivismus gegen die Veranstaltung auf oder korrigieren gewissenhaft Rechtschreibung und Grammatik der AfD-Sympathie-Fraktion. Als bereits alles aus dem Ruder gelaufen ist, meldet sich schließlich auch die AfD zu Wort. Als jemand Marcus Pretzell als „Hasshetzer“ und „Menschenfeind“ bezeichnet, korrigiert die AfD: Pretzell stamme von Horst Pretzell ab, der sich aktiv in der Gruppe um Henning von Tresckow gegen die Nazis gestellt habe. Ah ja.

Nach ein paar kurzen Statements der AfD scheint den Verantwortlichen die Lust vergangen zu sein, woraufhin man sich fortan damit begnügt die „Leitlinien“ der AfD verzweifelt unter jeden Anti-Post zu klatschen, in der Hoffnung das würde es besser machen. Wer sich die mal durchgelesen hat weiß: das tut es nicht.

Schon hier wird klar: das wird kein Zuckerschlecken für die AfD – und schon gar nicht für Marcus Pretzell.

Wer ist eigentlich Marcus Pretzell?

Marcus Pretzell ist Jurist und Politiker. Von 2004 bis 2009 war er Mitglied der FDP, seit 2013 ist er bei der AfD, seit 2014 Landesvorsitzender der AfD Nordrhein-Westfalen. Hier vertritt er den nationalkonservativen Flügel. Der Sozialwissenschaftler Dr. David Bebnowski bezeichnete ihn auch als „Vertreter rechtspopulistischer Strömungen an der Parteibasis“.
Seit der Europawahl 2014 ist er zudem Europaabgeordneter.

Pretzell auf Twitter / Screenshot vom 21.11.15
Pretzell auf Twitter / Screenshot vom 21.11.15

Anfang November machte Pretzell mit einer Äußerung zur Flüchtlingspolitik Schlagzeilen: Auf einer Pressekonferenz sagte er, der Gebrauch von Schusswaffen gegen Flüchtlinge, die die Grenzen überrennen, sei selbstverständlich. Später rechtfertigt er diese Aussage in diversen Medien. Er beruft sich hier wiederholt auf Gesetze, die dies aus seiner Sicht legitimierten. Auf Vorwürfe (unter anderem von der Polizei – also von den Menschen, die tagtäglich mit Flüchtlingen Kontakt haben), diese Maßnahme sei nicht verhältnismäßig, lautete Pretzells Antwort: Schusswaffen seien ja auch nur die letzte Möglichkeit. Vorher könne man ja immer noch mit Wasserwerfern oder Tränengas agieren.

Screenshot 21.11.2015 – Pretzell auf Twitter
Screenshot 21.11.2015 – Pretzell auf Twitter

Auf Facebook und Twitter betont er zudem wiederholt, er habe ja nur das Gesetz zitiert und Deutschland sei „gefangen im mitleidverklärtem Helfersyndrom“. Diese besondere Wortneuschöpfung scheint ihm besonders zu gefallen – er benutzt sie des Öfteren als eine Art universell einsetzbares Argument gegen AfD-Kritiker, sowohl bei Interviews, als auch in den sozialen Netzwerken. Hier, auf Twitter und Facebook, bekommt man auch ein recht gutes Bild von dem, für das sich Pretzell so einsetzt – zum Beispiel für Waffen in Privathaushalten. Außerdem scheinen Flüchtlinge für Pretzell gleich Terrorgefahr zu bedeuten und dass es das 100-Sekunden-Format der Tagesschau jetzt auch auf Arabisch gibt, macht ihn „sprachlos!“.

Pretzell auf Facebook / Screenshot vom 21.11.15
Pretzell auf Facebook / Screenshot vom 21.11.15

In einem Video von Oktober 2015 äußert sich Pretzell außerdem klar gegen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und spricht in diesem Kontext von „unkalkulierbaren Sicherheitsrisiken“. Seine Stimme und Attitüde sind dabei sehr ruhig, die Sätze klingen abgelesen.

Auch erklärt er den Verlust der staatlichen Kontrolle und dankt unter anderem Ungarn und insbesondere Viktor Orbán dafür, dass Teile der Flüchtlingsströme durch konkrete Maßnahmen gestoppt würden. Auf welche Weise das geschieht, scheint ihm egal zu sein. Im gleichen Atemzug meint er dann, dass echten (hier die Betonung) Flüchtlingen geholfen werden muss, das gebiete schließlich das Herz. Um das zu verdeutlichen, tippt er sich mit der Hand auf die Brust. Er hat das Herz halt doch am rechten Fleck.

Er beendet sein Video mit einem Aufruf an „die Bürger“ gegen den „Verrat“ aufzustehen und erklärt: „Wer auf der Suche nach einem besseren Leben nach Deutschland kommt, dem werden wir sagen: Geh zurück und baue dein Land auf, so wie unsere Trümmerfrauen das nach 1945 in Deutschland getan haben.“
Und wenn man an dieser Stelle ganz leise ist, kann man irgendwo einen Besorgten Bürger™ der Nachkriegsgeneration „Gee-nau!“ sagen hören.

Was tun?

Zwar vermietet die Leuphana regelmäßig Räumlichkeiten an Externe, meist handelt es sich hierbei aber um Firmen oder Verbände, die an unserer Uni Tagungen oder ähnliche Veranstaltungen abhalten. Dass einem Politiker der AfD hier nun eine Bühne geboten werden soll, ist mehr als ungünstig, aber – nach unserem derzeitigen Wissensstand – nicht zu ändern.

Wer sich mit Marcus Pretzell ein paar Minuten beschäftigt, erkennt schnell, dass es sich hierbei um ein Vorzeigeexemplar des Besorgten Bürgers handelt – Jemand, der endlich mal den Mund aufmacht, der ja bloß mal die Wahrheit ausspricht. Lösungen müssen her – wie die nach Pretzell aussehen sollen, kann man sich denken. Lösungen, die kaum modernen Moral- und Wertvorstellungen entsprechen und die bei jedem halbwegs aufgeklärten Menschen die Alarmglocken läuten lassen. Dass er hierbei das Wesentliche übersieht und Menschenrechte – zum Beispiel das Recht auf Asyl – mit Füßen tritt, scheint ihn nicht zu stören. Uns aber.

Deshalb: Erscheint zum Termin, zeigt Präsenz, zeigt, dass wir als Studierende, als Wähler, als Nachwuchs derartige Gesinnungen nicht akzeptieren, schon gar nicht an unserer Uni. Und, dass wir ihm diese Bühne nicht einfach so überlassen.
Hierfür gibt es so viele Wege, die ohne Gewalt funktionieren, denn Gewalt kann hier nicht funktionieren. Geht in die Veranstaltung, stellt kritische Fragen, bringt ihn aus dem Konzept. Packt den Ghettoblaster ein, veranstaltet eine Polonaise zu Orient-Pop oder eine Burka-Modenschau – Ganz egal was, die Hauptsache ist, dass wir da sind, dass wir viele sind und dass wir laut sind.

Denn unsere Besorgnis sollte einer Gesellschaft gelten, die nicht unterscheiden kann zwischen Fremdenfeindlichkeit und Meinungsfreiheit. Dazu wird man ja wohl noch aufrufen dürfen.

Autorin: Kim Torster

Kim Torster

Kim hat Kuwi studiert und war Chefredakteurin bei Univativ. Heute arbeitet sie nicht als Taxifahrerin, sondern als Journalistin. Glück gehabt.

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