Vom Glück des Nichtstuns

Wann ist uns nur die Fähigkeit zum Müßiggang abhanden gekommen?

Hallo kleine Bärchen / (C) pixabay - Alexas_Fotos
Hallo kleine Bärchen / (C) pixabay – Alexas_Fotos

Es gibt ein paar Dinge, gegen die ist man machtlos. Als ich das letzte Mal mit dem ICE von Hamburg nach Berlin fuhr, hielt dieser auf halber Strecke und ich wurde gebeten, auszusteigen. Ein Baum sei auf die Gleise gestürzt und die Weiterfahrt würde sich auf unbestimmte Zeit verzögern. Da stand ich also, am Bahnsteig irgendeines Dorfes in Norddeutschland, ohne etwas zu lesen im Gepäck, ohne Orientierung und ohne WLAN. Na toll. Nachdem ich innerhalb von zwanzig Minuten einmal quer durch das gesamte Dorf gelaufen war, gab ich schließlich auf, setzte mich auf eine Bank vor den Bahnhof und tat: nichts.

Ich versuchte, mich daran zu erinnern, wann das das letzte Mal der Fall gewesen war. Ich dachte an die Sommer meiner Kindheit zurück, an die sechs Wochen Schulferien, die ich größtenteils damit verbracht hatte, meine Zeit zu verschwenden. In denen ich stundenlang im Garten gelegen und die Wolken beobachtet oder mit meinen Freundinnen Kränze aus Gänseblümchen geflochten habe. Warum fiel es mir jetzt so schwer, einfach mal nichts zu tun? Wann hatte ich eigentlich damit angefangen, mein Leben in „genutzte“ und „vergeudete“ Zeit einzuteilen?

Effizienz und Produktivität sind längst zu Imperativen unserer Generation geworden. „Carpe Diem“ steht auf unseren Kaffeetassen und auf den Vorderseiten unserer immer volleren Terminkalender. Studieren, Beziehung, Nebenjob, Haushalt, Freunde. Um das alles unter einen Hut zu bekommen, muss man unglaublich gut darin sein, sein Leben zu managen. In der Antike galt das Nichtstun als Lebensideal und Weg zur tieferen Erkenntnis. Inzwischen wird es immer mehr mit Faulheit gleichgesetzt. Das Leben ist kurz, also gilt es, keine Zeit zu verlieren. Wir wollen möglichst viel schaffen, erleben, erreichen, und das so schnell wie möglich.

Man könnte dem entgegensetzen, dass wir heute so viel Freizeit haben wie keine Generation vor uns. Das Problem ist, dass die wenigsten diese freie Zeit auch dazu nutzen, um wirklich zu entspannen. Im Urlaub hetzen wir von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten und müssen uns jedes Mal beeilen, um nach der Arbeit nicht zu spät zum Yoga-Kurs zu erscheinen. Das führt dazu, dass irgendwann selbst Entspannung nur noch Teil der einzigen, großen To-Do-Liste wird, zu der unser Leben nach und nach verkommt. Kaum ist ein Punkt abgehakt, ein Projekt beendet, sind wir gedanklich schon beim nächsten. Wir koordinieren, multitasken und planen und vergessen darüber, im hier und jetzt zu leben. So kommen wir nie richtig zur Ruhe, werden unzufrieden und im schlimmsten Fall krank.

Es ist also an der Zeit, das Nichtstun wieder zu lernen. Weil es uns nicht nur entspannter und glücklicher, sondern auf Dauer paradoxerweise auch – richtig – effizienter macht. „Pausen sind Leuchttürme des Daseins, die den Aktiven den Weg weisen und sie davon bewahren, an den Untiefen ihres Tuns zu scheitern“, meint der Zeitforscher Karlheinz Geißler. Wir brauchen Pausen, um uns über uns selbst und unsere Ziele klar zu werden. Um Raum für spontane Ideen zu schaffen. Um kreativ zu sein. Aber wie übt man das Nichtstun? Ein erster Schritt könnte schon sein, mehr Prioritäten zu setzen. Das Smartphone in der Tasche zu lassen, anstatt sich ständig damit abzulenken. Nicht auch noch das Wochenende zu verplanen, sondern auch mal einen ganzen Sonntag einfach nur im Bett zu verbringen. Und das ganz ohne schlechtes Gewissen.

Autorin: Katharina Korbach