Univativ Filmkritik: Der Trafikant

Nach den Oscar-Hits „Call Me By Your Name“ und „Lady Bird“ versucht sich nun auch das Deutsch-Österreichische Kino am Coming-of-Age-Film. „Der Trafikant“ erzählt die Geschichte eines Dorfjungen, der nach Wien kommt, um das Leben kennenzulernen und ein Mann zu werden.

Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1937 schickt die Mutter von Franz Huchel ihren Sohn nach Wien. Er soll als Trafikant (ein Trafik ist ein kleiner Laden für Zeitungen und Tabakwaren) in die Lehre gehen. Dort lernt der Junge, welcher aus einem kleinen österreichischen Dorf im Salzkammergut stammt, den Professor Sigmund Freud kennen. Die beiden bauen schnell eine Freundschaft auf und rätseln zusammen über die Mysterien des anderen Geschlechts, mit dem Ziel, Franz’ erste große Liebe, eine junge Böhmin, für ihn zu erobern. Doch Franz muss schon bald die Machtergreifung Hitlers und den Aufstieg des NS in Österreich miterleben.

„Bis vor kurzem war ich noch ein Kind, jetzt bin ich noch kein Mann“, schreibt der 17-Jährige Franz (Simon Morzé) seiner Mutter (Gerti Drassl). Mit diesem Problem beschäftigt sich der Großteil des Spielfilms nach dem Roman von Robert Seethaler. Wir sehen dem Hauptcharakter dabei zu, wie er seine erste große Liebe durchlebt, Vorbilder findet und Ideale bildet. In Wien tritt die politische Lage hier zunächst im Hintergrund auf. Regisseur Nikolaus Leytner stellt den sich anbahnenden zweiten Weltkrieg erst nebensächlich da: Eine Frau warnt Franz, er solle besser wieder zurück in die Heimat fahren, ein Mann fragt nach der nationalsozialistischen Zeitung, ein Kabarettist parodiert Adolf Hitler. Als wolle man den Zuschauer ab und an erinnern: Wien wird nicht immer so friedlich bleiben. Denn mit dem Wandel des Hauptcharakters wandelt sich auch die Stadt. Während Franz Huchel sich vom naiven und unerfahrenen Jungen zum entschlossenen Mann entwickelt, wird die zunehmend gefährliche politische Stimmung zunehmend gegenwärtig, bis letztendlich omnipräsente schwarz, rot, weiße Hakenkreuzflaggen die Straßen Wiens zieren. Seien es die malerischen Sees des Salzkammerguts oder die belebte Stadt, die Sets bilden hier dank des exzellenten Szenenbilds immer einen realistischen Hintergrund.
Trotz der schrecklichen Zeit, die thematisiert wird, zeigt der Film auch eine überraschende Menge an Humor. Dieser ist sehr subtil und trocken und nie unpassend und verleiht dem Film so in vielen Momenten eine erfrischende Leichtigkeit.

(c) Petro Domenigg / TOBIS Film GmbH

„Der Trafikant“ leidet aber auch unter den typischen Schwierigkeiten einer Buchverfilmung. Der Film wirkt gedrungen und misst an Tiefe. Viele Themen scheinen kurz angeschnitten, dann wieder fallengelassen. So proklamiert Franz nach dem ersten Treffen mit Sigmund Freud (wunderbar charmant gespielt von Bruno Ganz) eine spontane Faszination mit dessen Arbeit und kündigt an, er würde alle seine Bücher lesen. Ein Versprechen, welches der Film vollkommen vergisst.
Freud scheint allgemein als Charakter vernachlässigt. Reduziert zu einem Ratgeber des Hauptcharakters, ist es nahezu egal, dass hier eine reale Person porträtiert wird. Er schlüpft letztendlich in die Rolle des typischen Mentor-Charakters, dessen Name ebenso gut Ben Kenobi sein könnte. Zu wenig erforscht wird hier die Unsicherheit gegenüber dem schöneren Geschlecht, die bei Freud immer wieder durchschimmert und ihm eine sympathische Menschlichkeit gibt.
Dies ist ein Problem, das bei fast allen Nebencharakteren auftritt. Sei es die arme Böhmin, die sich ihr Geld damit verdient, dass sie leicht bekleidet in der „Schwarzen Katze“ tanzt und in die sich Franz verliebt, oder der kommunistische Märtyrer, der beim Trafikanten einkauft. Man bekommt das Gefühl, als würde einem ein oberflächliches Bild von eigentlich sehr interessanten Menschen gezeigt werden. Der Mutter von Franz, von Drassl sehr gut dargestellt, wird sogar eine Nebenhandlung gewidmet, welche aber in drei kurzen, nebensächlichen Szenen viel zu schnell abgearbeitet wird und für den Verlauf der Geschichte und die Charakterentwicklung ohne Konsequenzen bleibt. Am besten dargestellt ist wohl Franz Huchels Vorgesetzter, der einbeinige Kriegsveteran Otto Trsnjek, sehr stark und immer überzeugend gespielt von Johannes Krisch.
Es liegt wohl daran, dass ein nicht einmal 250 Seiten langes Buch in einen zweistündigen Film übersetzt wurde, dass der Film zu Teilen leer erscheint und oft Probleme hat, die Spannung zu halten.
Nicht gerade hilfreich sind hier die Träume, die Franz jede Nacht hat. Auch wenn diese natürlich zur Interpretation anregen und sicherlich sehr komplex und durchdacht sind, ist es doch mittlerweile zur Genüge in anderen Filmen gezeigt worden, dass extrem metaphorische Traumsequenzen lieber in kleinen Mengen zu genießen sind. Auch wenn die stark surrealistischen Szenen durchaus schön anzusehen sind, hatte man doch das Gefühl, ein leicht genervtes Aufatmen im Kinosaal zu hören, wenn, nur wenige Minuten nach der letzten nächtlichen Fantasie, erneut ein monochromer Farbfilter das Bild überzog und so eine weitere Reise in die Traumwelt des Protagonisten ankündigte. Zudem gibt diese meist nur die aktuelle Stimmung wieder, ohne irgendwelche neuen Informationen dem Zuschauer zu übermitteln. Stattdessen hätte man sich lieber mehr tatsächliche Reaktionen des Hauptcharakters gewünscht, der zum Beispiel über den Tod seines Vaters am Anfang des Films nicht eine Träne vergießt.

All dies soll allerdings nicht heißen, dass der Film komplett misslungen ist. Letztendlich machen gute schauspielerische Leistungen, ein starker Protagonist, trockener Humor und eine sehr persönliche Geschichte „Der Trafikant“ zu einem sehenswerten Film mit einigen Schwächen, der es schafft, mehr als nur ein weiteres Zweiter-Weltkriegs-Drama zu sein und an dem nicht nur Fans des Buchs gefallen finden können. Aber wer nach konstantem Entertainment für einen Kinoabend mit Freunden sucht oder auf einen spektakulären Blockbuster aus ist, sollte sich lieber für etwas anderes entscheiden. „Der Trafikant“ funktioniert gut als eine oft mitreißende und schöne Geschichte in kleinem Kaliber.

 


Der deutsche Filmstart war am 01. November 2018. In Lüneburg läuft dieser Film im Scala Programmkino. Die Spielzeiten findet ihr hier.
Titelbild: (c) Petro Domenigg / TOBIS Film GmbH