Samhain: Den Toten gedenken in der dunklen Jahreszeit / (CC) Jere Keys/Flickr

Practical Magic: Wenn Hexen hexen

Kaum jemand weiß, was sie wirklich tun, geschweige denn, dass sie existieren. Dennoch steigt die Zahl der Menschen, die sich als Hexen oder Heiden bezeichnen.

Kein zwielichtiger Esoladen: Practical Magic in Hamburg-Eppendorf / © Meike Menzel

Zu Halloween darf jede Frau eine Hexe sein. Je nach Interpretation bezaubernd sexy mit rotem Haar oder hässlich und alt. Aber danach wird ein Bekenntnis als Hexe eher als befremdlich eingestuft. Esoterischer Schwachsinn, satanische Blutopfer, das sind häufig die ersten Gedanken eines Außenstehenden zu diesem Thema.

Doch die meisten Vorurteile beruhen auf Unwissenheit. So etwas hört auch Meike Menzel, Inhaberin des Hexenladens „Practical Magic“ häufig. Ihr Geschäft ist hell und freundlich, kein stechender Geruch nach Räucherstäbchen und kein schummriges Licht. Sie verkauft bunte Kerzen, Duftöle für jeden Anlass, aber auch kleine Geschenksets und Schmuck. Einige ihrer Kunden entfernen sogar die Etiketten, wenn sie ihre Produkte an Unwissende verschenken. Zu groß ist die Befürchtung, nicht ernst genommen zu werden.

Dabei gilt das Neuheidentum momentan in den USA als am schnellsten wachsende Religion, erlangt sogar rechtlichen Status. Auch in Großbritannien wächst die Zahl der Heiden, hier begann in den 1960ern die Formierung erster heidnischer Gruppierungen, die sich an die Öffentlichkeit trauten. Deutschland ist im Gegensatz dazu noch etwas rückständig.

Individualität erwünscht

International: Ein heidnisches Gemeinschaftsritual in Südamerika / (CC) Fernando Gonzaga/Flickr

Manche nennen sich Hexen, andere Heiden, wieder andere vermeiden solche Schubladen. Sie alle gehören zu einer neuen Religion, die auf dem kultischen Erbe vorchristlicher Glaubensvorstellungen basiert, dem Neuheidentum. Die Riten und Bräuche von zahlreichen Mythologien und Mysterienkulten, die zu jeder Zeit Teil von menschlicher Kultur waren, haben Einfluss auf dieses Glaubenskonzept gehabt. Schon hier kommt vielleicht der erste Zweifel: wie kann man denn einfach eine Religion aus dem zusammenbasteln, was einem gerade passt? Die Antwort ist schlicht: Einfach so. Das Neuheidentum kennt keine Dogmen, es ist ein Mix verschiedenster Ansichten aus noch viel verschiedeneren Mythologien. Doch letztlich basieren sie alle auf dem einen Glauben, dass der Natur selbst alles Göttliche innewohnt.

Jedes Lebewesen ist Teil der Natur und so Teil des Göttlichen. Hier enden die Gemeinsamkeiten, denn durch so viel Diversität ist die Definition eines einzelnen, richtigen Neuheidentums praktisch unmöglich, und auch nicht gewollt.

Wenig Hokuspokus, Viel Achtsamkeit

Samhain: Den Toten gedenken in der dunklen Jahreszeit / (CC) Jere Keys/Flickr

Aber was genau macht eine Hexe denn nun? Schaut sie in ihre Kristallkugel um die Lottozahlen zu erfahren und verflucht unliebsame Nachbarn? Nein, höchstwahrscheinlich nicht. Hexen praktizieren Magie, ein Begriff der so negativ belastet ist, dass er für einen durchschnittlichen Westeuropäer in die Kategorie „Hirngespinst“ einzuordnen ist. Zentral sind das Verhältnis zur Natur und die Anpassung des eigenen Lebenszyklus an diese. Dies geschieht im Zuge der Acht Jahreskreisfeste, welche sich am Lauf der Jahreszeiten orientieren.

Zu Yul, der Wintersonnenwende am 21. Dezember, feiern Heiden die länger werdenden Tage, das erste Zeichen der erwachenden Natur aus dem Winterschlaf, beginnt neue Projekte, sucht vielleicht eine neue Wohnung oder plant, sich im Frühjahr weiterzubilden. An Samhain, unserem Halloween, feierten sie das Ende des Jahres, machte reinen Tisch in allen Angelegenheiten, wie ein Baum der alle Blätter fallen lässt, um den Winter zu überstehen um im Frühjahr erneut zu erwachen. Symbolisch werden alte Zweifel und Ängste oder schlechte Angewohnheiten verbrannt oder vergraben.

Solche kleinen Zauber arbeiten nach einem psychologischen Prinzip, nachdem wir ein Ziel besser erreichen, wenn wir es uns vorstellen oder symbolisch nachbilden. Trotzdem ist es keine einfache Psychologie, wenn eine Hexe im Samhainfeuer ihren Wunsch verbrennt, um mit dem Rauchen aufzuhören, oder in Zukunft geduldiger zu sein. Sie sieht sich selbst als Teil der Natur, die sich mit ihr gemeinsam zu diesem Zeitpunkt im Herbst wandelt und erneuert. Genau das, unsere Wünsche und Ziele durch Symbolik und Riten verbildlichen, verstehen Neuheiden als Magie. Keine Blutopfer, keine Flüche, keine Engelsbotschaften aus der 5. Dimension. Einzig freier Wille und Naturbewusstsein sind es, die eine Hexe zur Hexe macht

Autorin: Alexandra Isabelle Wanke