Deutschland deine Abgründe – Über den neuen „Angst-Bürger“

Nicht nur bei Pegida, auch in der Mitte der Gesellschaft findet man Angstbürger / (CC) flickr - Metropolico.org
Nicht nur bei Pegida, auch in der Mitte der Gesellschaft findet man Angstbürger / (CC) flickr – Metropolico.org

Sicher, Sozialstudien gibt es vermutlich so viele wie Sozialstundenleister, doch um die wahren Abgründe einer Gesellschaft auszuloten,reicht derzeit ein Blick auf Facebook. Ausgelöst durch einen Hilfeaufruf für Flüchtlinge in Hamburg des bekannten Schauspielers Till Schweiger zeigt sich ein absurdes Sammelsurium fremdenfeindlicher Kommentare, die tief blicken lassen in das Herz der Bevölkerung eines der reichsten Länder der Welt.

Als bedachter und gebildeter Leser fragt man sich, was nur in den Leuten vorgeht, die hier so ungeniert und öffentlich ihren Hass zur Schau tragen.
Hier eine kleine Auswahl:

(C) Facebook.com
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Was soll man solchen Kommentaren noch entgegnen? Was geht im Verstand dieser Menschen vor sich? Glaubt sie wirklich, dass Deutschland von Armut bedroht ist? (Schon mal in Äthiopien gewesen?) Oder, dass sich unsere Rentner bald kein Pfund Brot mehr leisten können? (Im schlimmsten Fall greift immer noch die Mindestsicherung).
Es wäre wohl zu leicht, einfach zu behaupten, hier handle es sich generell um Anhänger nationalsozialistischen Gedankenguts. Viel mehr zeigt sich, wie weit Pegida und AfD mittlerweile ihre Kreise ziehen.

Deutschland, ein Land am wirtschaftlichen Abgrund. Wo doch nur jeder zweite hierzulande ein Auto hat und schon bald nicht mehr weiß, wie er seinen neuen Flachbildfernseher finanzieren soll. Bei einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommen von knapp 4000€ ist zumindest die Investition in das nächste Smartphone fraglich. Und dann sollen wir tapferes und leidgeprüftes Volk auch noch dahergelaufenen Flüchtlingen Unterkunft bieten? Das ist ja wohl die Höhe! Das Maß ist voll! Bald werden wir alle aufwachen!
Woraus, fragt sich da nur. Vielleicht aus dem (Alp)Traum, dass Deutschland den Deutschen gehört, wir einfach schön unsere Grenzen zu machen und der Rest der Welt sieht, wo er bleibt? Sicherlich würde sich das so manche braune Maus gerne wünschen, doch leider funktioniert Weltpolitik nun mal anders.

Im Ernst, liebe Angst-Bürger, die Aufnahme und Unterstützung leidender Menschen, die aus ihrem Land geflohen sind, sollte doch aus menschlicher Sicht nicht zu viel verlangt sein, oder?
Die Furcht wirtschaftliche Privilegien zu verlieren, in die man hinein geboren wurde, sitzt tief. Erstmal müsse ja unseren Obdachlosen/Rentnern/Deutschen Müttern geholfen werden. Beim Anblick all des Leids und des Elends in deutschen Einkaufsstraßen fragt man sich unwillkürlich, wann denn der erste Bundesbürger flüchtet. Vielleicht nach Frankreich? Oder in die Schweiz?

Das Einzige, was wohl gegen so viel Ignoranz und fehlgeleiteten Nationalismus hilft, ist die mantraartige Wiederholung der immer selben Fakten:

Nein, liebe Karina, die meisten Flüchtlinge sind keine Wirtschaftsflüchtlinge (siehe Punkt 4), sondern stammen aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Weiterhin finden sich die ehemaligen Bürgerkriegsländer Kosovo, Albanien und Serbien in der Statistik. Keine Spur von Wirtschaftsflucht.

Nein, lieber Luzifer, Deutschland, mit einem der stärksten Sozialsysteme der Welt, sollte durchaus Asylantenheime bauen. Denn leider gibt es immer mehr (innerstaatlichen) Krieg und Terror auf der Welt, gar nicht zu sprechen von Dürren und anderen Umweltkatastrophen. Dagegen solltest du mal posten.
Und nein, lieber Jörg, Herr Schweiger bietet zwar nicht seine eigene Wohnung an, was mitunter etwas zu viel verlangt wäre, aber nutzt dennoch seine Popularität, um Not leidenden Menschen zu helfen. Davon könnten sich andere ruhig mal eine Scheibe abschneiden.

Woher kommt also die tiefverwurzelte Angst vor wirtschaftlichen Einbußen? Sie erinnert ein wenig an das kleine dicke Kind, das schon früher von seinen Eltern immer einen riesen Beutel voll Süßigkeiten bekam aber trotzdem nicht teilen wollte. Die Angst vor einem Verlust ist anscheinend so groß, dass alle Menschlichkeit munter über Bord geworfen wird, um sie durch ungare Parolen und Halbwissen zu ersetzen. Was stimmt ist, dass sich Deutschland mittlerweile einem großen Flüchtlingsstrom gegenüber sieht. Das ist jedoch die Schuld von Krieg und Verfolgung und nicht die der Flüchtlinge. Und selbst wenn auch einige Wirtschaftsflüchtlinge unter ihnen sein sollten: Ist der Traum von einem besseren Leben wirklich ein Verbrechen? Denken wir doch kurz an all die deutschen Auswanderer (heute würde man Flüchtlinge sagen), welche in den letzten Jahrhunderten nach Amerika aufgebrochen sind, um dort ihre Träume zu verwirklichen.

Nein, unsere besorgten Angst-Bürger sind keine Nazis und wir sollten uns hüten sie leichtfertig dazu zu machen, bevor sie das aus Trotz noch selbst tun. Was ihnen jedoch gut tun würde, wäre etwas mehr Menschlichkeit, Fakten und hin und wieder eine zweiminütige Google-Recherche.

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Lieber Mark, der Einzige, der hier asozial ist, bist du.

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Lieber Gabriel, tatsächlich müssen die Flüchtlinge umgerechnet mitunter mehrere Tausend Euro für die Reise nach Europa zahlen. Allerdings stehen dahinter keine First-Class-Standards, sondern Menschen, die von der Not anderer profitieren: Die sogenannten Schlepper. Trotz der hohen Kosten reisen die Flüchtlinge unter lebensgefährlichen Bedingungen – nicht selten finanziert durch Verkauf allen Besitzes. Und das alles, um in ein Land zu gelangen, dessen Kultur man nicht versteht und dessen Sprache man nicht spricht. So ist für viele Flüchtlinge schon die Bewältigung des Alltags eine Garantie für morgendliche Kopfschmerzen. Neben den traumatischen Erinnerungen. Und den katastrophalen Zuständen in den Flüchtlingsheimen. Und der Einsamkeit.

Dass es den Flüchtlingen also eigentlich besser geht als uns, halten wir für ein Gerücht.

Autor: Andreas Hußendörfer